Sieglinde Hartmann

Oswald von Wolkenstein heute:
Traditionen und Innovationen in seiner Lyrik

(aus: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft. Bd. 15. 2005. S. 349-372.; bei Zitaten bitte gedruckte Quelle angeben!)

Oswald von Wolkenstein: der letzte Minnesänger?

Als die Germanistik Wolkensteins Werk im 19. Jahrhundert zu erschließen begann, schien sich auf diese Fragen zunächst folgende Antwort anzubieten: Oswald von Wolkenstein ist der letzte Minnesänger. Damit war eine ungemein eingängige Formel gefunden, die sich rasch eingeprägt hat und im kollektiven Gedächtnis der Öffentlichkeit bis auf den heutigen Tag haften geblieben ist (D. Joschko, 1985, 16-22).

Die Fachwelt hielt an dieser literaturgeschichtlichen Etikettierung allerdings nur bis ungefähr 1962 fest. Dieses Jahr markiert einen Wendepunkt in der germanistischen Wolkenstein-Forschung. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte der Innsbrucker Altgermanist Karl Kurt Klein die Lieddichtungen Oswalds von Wolkenstein erstmals in einer wissenschaftlich abgesicherten Textedition veröffentlicht. Damit war zugleich die Basis für eine gründlichere Erforschung Oswalds von Wolkenstein geschaffen. Ja, die neue Textausgabe, brachte die Wolkenstein-Forschung erst so richtig in Schwung. Entsprechend sprunghaft begann die Beschäftigung mit Oswalds Lyrik anzusteigen.

Ebenso stark wuchsen indes die Zweifel an der Berechtigung, den Tiroler Dichter als ‘letzten Minnesänger’ zu etikettieren. Bereits Ende der sechziger Jahre braucht der amerikanische Mediävist Frank G. Banta nur noch einen lapidaren Satz, um die gewandelte Einschätzung zu resümieren: ”Obwohl er der letzte Minnesänger genannt wird, sehen wir in Oswald häufiger den Dichter der liebe als den der minne” (Darmstadt, 1980, 57).

Die Forschungsbilanz, die Burghart Wachinger sodann in der Neubearbeitung des Verfasserlexikons von 1989 vorlegte, dokumentiert schließlich nur noch die ‘Schwundstufe’ des ersten Versuchs, Oswald von Wolkenstein in der Tradition des deutschen Minnesangs zu verorten. Sie übergeht die Kontroverse einfach mit Schweigen. Von Oswald als ‘letztem Minnesänger’ ist deshalb nicht mehr die Rede. Burghart Wachinger bezeichnet den Tiroler Sangeskünstler stattdessen als “Liederdichter” (Sp. 134). Dieser Terminus ist historisch auf keine Epoche festgelegt und wirkt daher literaturgeschichtlich wenig aussagekräftig. Aber der Begriff setzt keine inhaltlichen Grenzen. Insofern kann der Tübinger Altgermanist die terminologische Offenheit auch nutzen, um das Bild einer vielseitigen Künstlerpersönlichkeit in den Vordergrund zu rücken, welche der deutschen Liedkunst des Spätmittelalters gänzlich neue Themen und Liedtypen erschlossen habe.

Diese Einschätzung ist inzwischen nicht mehr umstritten. So manche der jüngsten Untersuchungen legen sogar die Schlussfolgerung nahe, dass mit Oswald von Wolkenstein einer der genialsten Lyriker der gesamten deutschen Literaturgeschichte wieder entdeckt worden sei. Worin aber besteht Wolkensteins Genialität? Welches sind die genialen Neuerungen, die Oswald in die deutsche Lyrik eingeführt hat? Oder erschöpft sich sein Genie lediglich in einer neuartigen “Fülle an Themen und Motiven”, wie Wachinger es nahe legt (Sp. 154)? Das hieße, Wolkensteins geniale Innovationen der deutschen Liedkunst auf rein quantitative Neuerungen zu reduzieren. Müssen wir uns mit diesem Fazit zufrieden geben?

Seit dem Erscheinen dieser Forschungsbilanz sind über zwanzig Jahre vergangen und zahlreiche neuere Studien zu Wolkensteins Lyrik erschienen. Daher mag der Versuch erlaubt sein, Oswalds lyrische Eigenleistungen in ihren qualitativen Merkmalen zu erfassen und seine Stellung in der Geschichte der deutschen Lyrik mithilfe dieser neuen Kriterien genauer auszuloten.


Oswald von Wolkenstein und sein künstlerisches Selbstverständnis

Bevor ich mich der Frage nach den qualitativen Neuerungen im Werk Oswalds von Wolkenstein zuwende, möchte ich noch kurz das künstlerische Selbstverständnis des Autors beleuchten. Für meine Fragestellung ist es nämlich nicht unwichtig zu bedenken, wie der Künstler sich in seinen Liedern selbst charakterisiert. Wolkenstein bezeichnet sich nirgendwo als Minnesänger. Aber die Worte, die er zur Umschreibung seiner Kunst wählt, nehmen doch auf den hochmittelalterlichen Minnesang und seine klassische Funktion als höfische Sangeskunst einen verblüffend direkten Bezug.

So erwähnt Oswald mehrfach, er sei von Fürsten oder ritterlichen Gesellschaften eingeladen worden, an ihrem Hof aufzutreten und zu singen (Lieder Kl. 12, 26, 41, 86). Wenn Wolkenstein dabei gleichzeitig auf den Inhalt seiner Gesänge verweist, führt er immer wieder die höfischen Damen an (Kl. 81, 17; Kl. 3, 53f.), die es zu preisen gelte. In anderen Liedern stellt er nicht ohne Stolz dar, wie er an den königlichen Höfen Aragons (Kl. 18: S. Hartmann, 1997, 133-139) und Frankreichs (Kl. 19: S. Hartmann, 2001, 60-77) für seine Sangeskunst ausgezeichnet worden sei. In deutschen Ländern hat Oswald offenbar ein ähnlich hohes Ansehen genossen. Denn in einem seiner Liebeslieder lässt der Dichter wie nebenbei die Bemerkung einfließen, dass er ja die Nachtigall genannt würde: “Seid ich nu haiss die nachtigall / und lob ouch vast die freulin güt” (Kl. 81, 26f.).

Wir Mediävisten erinnern uns: Den gleichen metaphorischen Titel trugen bereits die Minnesänger der höfischen Klassik. Welche künstlerischen Aufgaben die so bezeichneten Sänger erfüllten, davon liefert der Epiker Gottfried von Straßburg eine höchst anschauliche Schilderung: “Der nahtegalen der ist vil (…) si kunnen alle ir ambet wol / und singent wol ze prise / ir süeze sumerwise…” (Tristan, Edition R. Krohn, V. 4751 ff.).

Wer den berühmten Literaturexkurs im Detail kennt und mit den Selbstaussagen Oswalds von Wolkenstein vergleicht, kann kaum noch bezweifeln, wie stark sich dieser so späte Nachfahre den von Gottfried hoch gepriesenen ‚Nachtigallen’ verbunden fühlt. Das gilt nicht nur für die poetisch-musikalische Darbietungsform seiner Lieddichtungen, sein Selbstverständnis als Dichter und Sänger, die Inhalte seiner Gesänge und sein höfisches Zielpublikum. Das gilt im gleichen Maße für sein künstlerisches Ethos. Auch in dieser Hinsicht äußert sich Wolkenstein in einer Weise, die sich unverkennbar den christlichen Idealen der höfischen Literatur des 12. Jahrhunderts verpflichtet weiß. Der Herr, der Himmel und Erde erschaffen habe, so beteuert der Dichter des 15. Jahrhunderts an anderer Stelle, “der gab mir Wolkenstainer rat, / aus beichten solt ich leren / Durch mein gesangk vil hoveleut” (Kl. 39, V. 55-57).

Der Befund, den ich hier gerafft vorstelle, hat mich zugegebenermaßen selbst überrascht. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die konservative Einstellung, die sich in Wolkensteins Selbstcharakterisierungen äußert, widerspricht in vieler Hinsicht der heute vorherrschenden Vorstellung von einem innovativen, alle Traditionen und Konventionen sprengenden ‘Liederdichter’. Können wir aber das Bild, das der ritterliche Sänger von sich selbst und seiner Kunst entwirft, einfach ignorieren, nur weil es mit unseren Vorstellungen nicht übereinstimmt? Oder wie lässt sich dieses hermeneutische Problem lösen?


Wolkensteins Wortschatz und das Vokabular der Minnesänger

Nach einigem überlegen habe ich mich entschlossen, die Probe aufs Exempel zu machen, und die ‘Nachtigall’ des 15. Jahrhunderts direkt mit den ‘Nachtigallen’ des 12. Jahrhunderts zu konfrontieren. Ich habe dafür die elementarste Ebene jeglicher Dichtung gewählt, nämlich die Sprache. Folglich habe ich Oswalds Wortschatz und das Vokabular der klassischen Minnesänger in Form einer buchhalterischen Bilanz gegenübergestellt. Ziel des Vergleichs war es herauszufinden, in welchen Bereichen sich ihre Dichtersprachen unterscheiden. Das Ergebnis fiel überraschend erhellend aus und bietet überdies einen neuen Schlüssel zum Verständnis der qualitativen Neuerungen in Wolkensteins Lyrik.

Der auffälligste Unterschied zwischen Oswalds Dichtersprache und der Sprache der Minnesänger ist zunächst ein quantitativer. Allein vom Wortmaterial übertrifft der Dichter des 15. Jahrhunderts alle seine Vorläufer um ein Vielfaches (G. F. Jones, H.-D Mück, U. Müller, 1973). Der Grund liegt unter anderem darin, dass der Wortschatz der Minnesänger im Wesentlichen von einer relativ kleinen Anzahl an Abstrakta und ideellen Leitworten beherrscht ist (O. Ehrismann, 1995). Die Wortfülle Oswalds von Wolkenstein rührt dagegen von einer auffälligen Proliferation an Konkreta her. Wie aufschlussreich dieser quantitative Befund für die qualitative Andersartigkeit der Wolkensteinschen Dichtung ist, zeigt beispielhaft eine summarische Wortfeldanalyse des berühmtesten und meist interpretierten Liedes des Tiroler Sängers.

Ich meine das Lied “Es fügt sich, do ich was von zehen jaren alt” (Kl. 18). Der Text wird oft als ‚Lebensballade’ bezeichnet, weil der Dichter darin sein Leben aus der Rückschau des Vierzigjährigen schildert. Inhaltlich zählt diese Dichtung zu den innovativsten Liedgattungen des Tirolers. Bekanntlich hat Oswald diesen Typ autobiographischer Erzähllieder ohne Vorbilder geschaffen, auch wenn viele seiner Bilder und Motive auf Topoi älterer Lied- oder Texttraditionen zurückgehen (S. Hartmann, 1993). Es lohnt sich daher zu fragen, welche der hochmittelalterlichen Leitbegriffe sich in diesem Lied wiederfinden.

Die Rechnung ist schnell erstellt. In den sieben Strophen zu insgesamt 112 langen Versen begegnen folgende Schlüsselworte des klassischen Minnesangs: “dienest, êre, genâde, gruoz, herze, mâze, minne, liebe, leit, muot, schoene, trûren, vrouwe und wîp, werlt, got, vröude, wünne”. Es fehlen lediglich die Begriffe “edel, hövesch, guot, reine, saelde, staete, triuwe, werdekeit, zuht, tugent” (nach O. Ehrismann, 1995). Oswald macht also reichlichen Gebrauch von den minnesängerischen Leitbegriffen. Trotzdem will sich kaum der Eindruck einstellen, dass unser Sänger seine Lebens- und Welterfahrungen in den Kategorien der höfischen Klassik darstellt. Woran liegt das?

Die Wirkung dieses vielschichtigen Textes lässt sich zunächst umso schwerer auf einen Begriff bringen, als die zentralen Antipoden des klassischen Minnesangs, das paradoxe Begriffspaar von Minne und Leid, darin sogar als Leitmotive fungieren (U. Müller, 1968). Wenn man die betreffenden Textpassagen aber einmal genauer auf ihre grammatischen Strukturen untersucht, so lässt sich schnell merken, dass die Leitwerte des hochmittelalterlichen Minnesangs stets mit dem Possessivpronomen oder Personalpronomen in untrennbarer Verbindung mit dem dichterischen Subjekt gebraucht werden. Mit anderen Worten: Die Begriffe, die den klassischen Minnesängern als allgemeinverbindliche Werte oder gemeinsame Ideale gedient hatten, erscheinen bei Oswald zu persönlichen Eigenschaften umgewertet. Maßstab des Handelns ist seine persönliche Ehre und nicht ein aus der adeligen Standesehre abgeleitetes, überindividuelles Ethos.

ähnlich verhält es sich mit den Begriffen “minne” und “werlt”. Auch ihre Bedeutung leitet sich für Oswald nicht mehr aus einer Idee ab. Minne und Welt erscheinen im Gegenteil zu einem sinnlich erfahrbaren Medium umgeformt. Infolgedessen treten in diesem Lied Welt und Minne nicht, wie bei Walther von der Vogelweide, als allegorische Figuren auf den Plan, “Frô Werlt” und “frouwe Minne”, so wie sie die Szene der deutschen Liedlyrik bis zum Ende des 14. Jahrhunderts beherrschen sollten.

Im Unterschied zu dieser traditionellen Bildsprache bietet Wolkensteins Welt in diesem Lied nicht das Abbild einer abstrakten Idee, sondern seiner realen Lebenswelt. Daher sind ihre unterschiedlichen geographischen Einzelteile wie persönliche Erlebnisräume geschildert, die untrennbar mit der Person und den Erfahrungen des Autors verbunden sind (S. Hartmann, 1994/1995).

Ebenso bezieht sich der zeitliche Erlebnisrahmen dieses Liedes auf die 40 Jahre seines persönlichen Lebens. In ähnlicher Weise lassen sich die übrigen Personen des Liedes als leibhaftige Zeitgenossen seiner Lebenszeit identifizieren. Infolgedessen gilt in diesem Lied des 15. Jahrhunderts nur das, was der Dichter am eigenen Leib erfahren und mit eigenen Augen gesehen hat, so wie es die programmatische Absichtserklärung gleich zu Beginn des Liedes kund tut: “ich wolt besehen wie die werlt wer gestalt”.

Von daher darf es kaum noch verwundern, wenn auch die Minne, im klassischen Minnesang eine Macht von ideeller Wirkung, hier vornehmlich leibhaftig spürbare Wirkkräfte entfaltet. Diesen Wandel illustrieren besonders anschaulich die Bilder, die Wolkenstein wählt, um sein Minneleid darzustellen. Schweißausbrüche hätten ihn befallen, häufig hätte seine Gesichtsfarbe gewechselt, vor Zittern und Seufzen hätte er kaum mehr seinen Leib gespürt. Andererseits hätten ihm Kälte, Regen, Schnee und Frost nichts anhaben können, weil ihn seine liebste Sonne ja erhitze.

Statt wie Reinmar abstrakte Begriffsbilder von “senedem leit” in dialektischen Reflexionen zu beschwören, schildert Oswald seine Liebesqualen in einer ganzen Reihe von äußerlich sichtbaren und innerlich spürbaren, körperlichen Symptomen. Damit ist die vergeistigte Sprache des klassischen Minnesangs in eine neue Sprache sinnlicher Erfahrbarkeit umgemünzt.

Und das ist das ganz Neue an Oswalds Lyrik: seine neue Sprache sinnlicher Wahrnehmung. Es liegt auf der Hand, dass in solch einer Dichtersprache Abstrakta und Ideen allenfalls eine Nebenrolle spielen. Stattdessen beherrschen Konkreta und Bewegungsverben die Szene in Hülle und Fülle. Sie sind in Bilder von Sinneseindrücken gefasst, welche diesem wie so vielen anderen Liedern Oswalds von Wolkenstein ihr eigentümliches, neues Gepräge geben.

Die qualitative Andersartigkeit der Wolkensteinschen Dichtersprache entdeckt zu haben, liefert also einen ersten Fingerzeig auf die Gründe dafür, dass der Dichter des 15. Jahrhunderts nur bestimmte Lied- und Texttraditionen aufgreift, während er andere Themen oder Liedgattungen völlig außer acht lässt. Das gilt für alle thematischen Bereiche seiner Lyrik: seine weltliche Liebesdichtung, seine geistlichen Gesänge und seine autobiographischen Lieder.


Der Minnesang, seine Liedtypen und Wolkensteins neue Sprache sinnlicher Wahrnehmung

Aber setzen wir vorerst die Konfrontation mit den klassischen Minnesängern fort und beginnen wir mit der Liebeslyrik, der Königsdisziplin des Minnesangs!

In Bezug auf Wolkensteins Werk sollte man den Terminus ‘Liebeslyrik’ schon allein deshalb bevorzugen, weil der Gebrauch des Substantivs “lieb” zusammen mit dem Verb “lieben” sowie den dazugehörigen Adjektiven und Adverbien in seinen Texten viermal so häufig belegt ist wie Oswalds Verwendung des alten Leitbegriffes “minne” mitsamt seinen morphologischen Ableitungen. Beide Begriffe sind bei ihm jedoch semantisch noch austauschbar und können sowohl die weltliche Geschlechterliebe als auch die geistliche Gottesliebe bezeichnen (S. Hartmann, 1980, 45-150). Die Terminologie bietet also wenig Ansatzpunkte für einen Zugang zu Oswalds neuartigen Liebesdarstellungen, sondern tatsächlich ‘nur’ seine qualitativ andersartige Sprachgebung und Bildlichkeit.

Zahlenmäßig macht die Liebeslyrik in Wolkensteins Werk rund ein Drittel seiner über 130 Lied- und Spruchdichtungen aus. Dabei lassen sich inhaltlich folgende Liedtypen unterscheiden (D. Sittig, 1987): Tagelieder, Werbelieder, Schönheitspreise, Liebesduette, Neujahrsgrüße, Treue- und Dienstversicherungen, Klagelieder über Trennung oder Fernsein, Pastourellen, Frühlingslieder, Tanzlieder und Trinklieder (B. Wachinger, 1989, 155-159).

In bezeichnendem Unterschied zum klassischen Minnesang fehlt bei dieser Aufzählung die Hauptgattung des höfischen Minnelieds: die Minneklage. Deren Sprache und Tenor ist, wie wir wissen, von vielfältig reflektierten ethischen Verzichtsmotiven geprägt. Reflexionen über eine ethische Wertsteigerung durch Liebesverzicht suchen wir in Oswalds Liebeslyrik jedoch vergebens. Stattdessen dominieren Liedtypen mit sinnlichen oder szenischen Liebesmotiven, die, wie beispielsweise das Tagelied, eher zu den Randerscheinungen des Minnesangs zählen, oder ganz neue Inhaltstypen wie Neujahrsgrüße (A. Holtorf, 1973) und Liebesduette. Inhaltlich sind also bei Oswald von Wolkenstein die Gewichte völlig anders und neu verteilt. Daher erhebt sich die Frage, inwiefern sich hier gleichzeitig eine neue Liebeskonzeption äußert und welchen Anteil daran seine neue Sprache sinnlicher Wahrnehmung hat.

Um unsere Konfrontation mit dem klassischen Minnesang fortzusetzen, wähle ich als erstes Beispiel das Tagelied “Ain tunckle farb von occident” (= Kl. 33). Dieser Liedtyp empfiehlt sich übrigens auch deshalb, weil Oswald von Wolkenstein in seinen insgesamt 13 Tageliedvariationen, wie B. Wachinger es 1989 formuliert hat, “den engsten Anschluß an verbreitetete Liedtraditionen bewahrt (ibda.,155).

In meinem Textbeispiel verfremdet Oswald von Wolkenstein die traditionelle Abschiedsszene zweier Liebender im Morgengrauen allerdings so stark, dass man hier allenfalls von einem Gegentyp des Tagelieds sprechen könnte. Denn das Lied setzt nicht mit einem Bild des Tagesanbruchs ein, sondern der Abenddämmerung. Und was sich in der anschließenden Nacht ereignet, sind die leidenschaftlich bewegten Wachträume des Dichters, ausgelöst von der Sehnsucht nach seiner in der Heimat zurückgelassenen geliebten Frau, Margarete von Schwangau: “Also vertreib ich, liebe Gret, die nacht bis an den morgen.” (V. 25-26).

Die poetische Spannung des Liedes resultiert also nicht mehr, wie im Minnesang, aus der heiklen Situation verbotener Liebe, sondern sie wird rein psychologisch aus dem Kontrast zwischen sehnsüchtigem Verlangen und realer Entbehrung entfacht. Dabei äußert sich die Suggestivkraft der Wunschvorstellungen in einer bisher unerhört anschaulichen und lebensnahen Körpersprache.

Auf den neuen Ton stimmt bereits das Eröffnungsbild ein, das den Dichter entblößt auf seinem Lager zeigt:

“Ain tunckle farb von occident
Mich senlichen erschrecket
Seid ich ir darb und lig ellend
Des nachtes ungedecket.” (V. 1-4)

[Nächtliches Dunkel naht von Westen
und schreckt Verlangen in mir auf,
weil sie mir fehlt, ich fern von ihr
die Nacht entblößt daliege.]

Diesen Kunstgriff einer bildlichen Selbstentblößung setzt Oswald im Dienste einer poetischen Doppelstrategie ein. Denn erstens weist das Bild körperlicher Nacktheit auf die anschließenden Erfahrungen voraus, wie hilflos der Liebende in diesem Zustand seinen Sehnsuchtsträumen ausgeliefert ist. Und zweitens schafft der Dichter damit eine Unmittelbarkeit, welche uns das lyrische Geschehen heute noch hautnah miterleben lässt. So spüren auch wir, wie das Bild der Geliebten immer wiederkehrt und wie es das Herz des Liebenden mit solcher Macht ergreift, dass sich seine Sehnsucht in eruptionsartigen Gefühlsausbrüchen entlädt. Dadurch werden seine Gliedmaßen von Wellen ruheloser Bewegungen ergriffen und schließlich in höchste sexuelle Erregung versetzt:

“Kom, höchster schatz! mich schreckt ain ratz mit grossem tratz,
davon ich dick erwache,
Die mir kain rü lat spät noch frü.” (V. 28-30)

[Komm, teuerster Schatz, mit großer Macht schreckt eine Maus mich auf,
wovon ich oft erwache,
was mir die Ruhe raubt von spät bis früh.]

Erstaunlicherweise schließt der Dichter dieses Lied nicht mit Bildern, die ihn in einem Zustand qualvoller überwältigung zeigen. Stattdessen weckt die unstillbare Sehnsucht nach seiner geliebten “Gret” (V. 25) zum Schluss jubelnde Vorfreude darauf, dass ihn seine schöne Liebste bald wieder zärtlich umarmen werde:

“Die freud geud ich auf hohem stül,
wenn das mein herz bedencket,
Das mich hoflich mein schöner bül
Gen tag freuntlichen schrenket.” (V. 33-36)

[Mein Jubel steigt in höchste Höhn,
wenn ich das Bild im Herzen seh,
wie höfisch fein die schöne Liebste mich
so liebevoll zur Morgenstund umarmen wird.]

All dies bewegte Geschehen schildert Oswald mittels einer Reihe suggestiver Bilder, einer dichten Folge von synonymen Konkreta und Bewegungsverben, welche, verstärkt durch die Klangwirkung von Schlagreimen und Reimhäufung, die wechselnden Gefühlszustände in körperlichen Reaktionen plastisch hervortreten lassen (M. Schadendorf, 1996/1997). Dadurch versteht es der Dichter des 15. Jahrhunderts, den Eindruck einer neuartig sinnlichen Liebessehnsucht zu erwecken, worin Körper und Seele zu einer unauflöslichen Einheit verschmelzen.


Oswalds Liebesduett und seine neue Liebesauffassung

Wieweit sich Oswald von Wolkenstein mit dieser Seele und Leib umfassenden Liebesauffassung von der Minnekonzeption des klassischen Minnesangs entfernt, mag ein zweites Beispiel illustrieren, das Liebesduett “Simm Gredlin, Gret, mein Gredelein” (Kl. 77: S. Beyschlag, 1980). In diesem Lied sind wiederum den beiden Ehegatten die Hauptrollen zugewiesen. Oswald beginnt den männlichen Part mit folgenden Versen:

“Simm Gredlin, Gret, mein Gredelein,
mein zarter bül, herz lieb gemait,
dein züchtlich er an mir nicht weich!” (V. 1-3)

[Summ, Gretel, Gret, mein Gretelein
meine holde Geliebte, Herzallerschönste,
bewahre all Deinen Anstand und Deine Ehre für mich!]

Darauf antwortet Margarete:

“Halt wie es get, mein öselein,
inn deiner schül treu stetikait,
die wil ich leren ewikleich.” (V. 4-6)

[Bewahre, so wie es geht, liebes öselein,
in deiner Schule Treue, Beständigkeit,
die will ich für immer lernen.]

Auch in diesem Lied setzt die Wortwahl bereits die entscheidend neuen Akzente. Dabei sind es nicht die Schlüsselbegriffe des klassischen Minnesangs, “züchtlich er” oder “treu stetikait”, welche Aussage und Stimmungsgehalt der Verse prägen. Die alten ethischen Leitwerte sind, wie bereits in Oswalds Lebensballade beobachtet, hier ebenfalls zu persönlichen Eigenschaften des jeweiligen Partners umgewertet. Den neuen Ton erzeugen vielmehr die zärtlichen Namensdiminutive, die unterschiedlichen Koseformen verbunden mit dem Possessivum, mit denen sich beide Partner anreden. Dadurch entsteht gleich zu Beginn der Eindruck innigster Verbundenheit zwischen den Liebenden.

Und wieder werden wir Zeugen einer intimen Szene, diesmal durch den leisen Summton “simm” wie mit sachter Hand an die Bühne verliebter Zweisamkeit herangeführt. Dort tauschen Oswald und Margarete Treueschwüre, liebevolle Ermahnungen, Dankesworte, Glücksbeschwörungen und Zärtlichkeitsadressen:

I.

O.: Simm Gredlin, Gret, mein Gredelein,
mein zarter bül, herz lieb gemait,
dein züchtlich er an mir nicht weich!
M.: Halt, wie es get, mein öselein,
inn deiner schül treu, stetikait, 5
die wil ich leren ewikleich.
O.: Die wort sol ich behalten mir
und schreiben in meins herzen grund
von deinem röselochten mund.
M.: Mein hort, das selb ist wol mein gier, 10
wann ich wil nicht wencken.
O.: das sol ich pedencken. 11a
M.: Gedenck, liebs öselein, an mich,
dein Gredlin sol erfreuen dich.

II.

O.: Du kanst mich nicht erfreuen bas,
wann das ich läg an deinem arm, 15
verslossen als ain kleusener.
M.: In deiner phlicht wurd ich nicht lass,
an sainlich träg mach ich dir warm,
und ist mir das ain klaine swër.
O.: Hab danck, mein trauter aidgesell, 20
das sol ich dir vergessen klain,
wann du bist wol, die ich da main.
M.: An wanck von mir kain ungevell,
herzlieb, nicht erwarte!
O.: danck so hab die zarte. 25
M.: zart liebster man, mir ist so wol,
wenn ich dein brust umbsliessen sol.

III.

O.: Vor aller freud tröst mich dein herz,
dorzu dein wunniklicher leib,
wenn er sich freuntlich zu mir smucket. 30
M.: Gesell, so geud ich wol den scherz,
und gailt sich fro dein ainig weib,
wenn mir dein hand ain brüstlin drucket.
O.: Ach frau, das ist mein zucker nar
und süsst mir alle mein gelid, 35
seid du mir haltst günstlichen frid.
M.: Getraw mir sicherlichen zwar,
öslin, gar an ende!
O.: Gredlin, das nicht wende!
M.: kain wenden zwischen mein und dir 40
sei uns mit hail beschaffen schier.

[Übersetzung:

I.

O.: Summ, Gretel, Gret, mein Gretelein
meine holde Geliebte, Herzallerschönste,
bewahre all Deinen Anstand und Deine Ehre für mich!
M.: Bewahre, so wie es geht, liebes öselein,
5 in deiner Schule Treue, Beständigkeit,
die will ich für immer lernen.
O.: Diese Worte muß ich mir bewahren
und in den Grund meinens Herzens hineinschreiben
aus deinem rosenfarbenen Mund.
10 M.: Mein Schatz, dasselbe wünsch ich mir,
denn ich werde nicht wanken.
11a O.: Daran werd ich immer denken.
M.: Denk, liebes öselein, an mich,
Dein Gretli wird dich beglücken.

II.

O.: Mehr Freude kannst du mir nicht schenken,
15 als wenn ich in deinem Arm läge
verschlossen wie ein Klausner.
M.: Ich würde emsig dich umsorgen,
ohn Unterlass würd ich dich warm halten,
denn das bereitet mir geringe Müh.
20 O.: Hab Dank, meine liebste Angetraute,
das werd ich dir nie vergessen,
denn du bist genau die, die ich liebe.
M.: Zweifle nicht, von mir hast du
Herzliebster, kein Unglück zu erwarten.
25 O.: Dafür gebührt der Holden Dank.
M.: Innig geliebter Mann, mir ist so wohl
wenn ich deine Brust umschließen soll.

III.

O.: Mehr als alle Freude tröstet mich dein Herz,
dazu dein wundervoller Leib,
30 wenn er sich liebevoll an mich schmiegt.
M.: Mein Lieber, und ich jauchze über das Vergnügen
und es frohlockt vor Freude deine Einzige,
wenn deine Hand mir ein Brüstlein drückt.
O.: Ach Herrin, das ist Zuckerwerk für mich
35 und gibt Süße all meinen Gliedern,
zumal du mich in Gunst und Frieden hältst.
M.: Vertrau mir fest, wahrlich,
ösli, für immer und ewig!
O.: Gretli, bleib dabei!
40 M.: Kein Wanken zwischen mir und dir
sei uns zum Glück je beschieden.]

Eine besonders subtile poetische Suggestivkraft weiß der Dichter in diesem Liebesduett mittels seiner Gesprächsregie zu entfalten. Die Wechselreden sind nämlich psychologisch so fein auf die unterschiedlichen Geschlechterrollen abgestimmt, dass wir kaum gewahr werden, wie wenig die Liebenden all dieser Beteuerungen eigentlich bedurften. Denn der abschließende Wunsch, nie mehr getrennt zu werden, ist mit den zärtlichen Anredeformen “mein Gredelein” und “mein öselein” im ‘Grunde’ ihrer Herzen bereits ‘eingeschrieben’ (V. 8) und somit längst erfüllt.

Der Inhaltstyp eines Liebesduetts dokumentiert daher eine neue Liebesauffassung, die nicht von allgemeinen Idealen getragen ist, sondern von persönlichen Gefühlswerten, von einer neuartigen Gefühlsinnigkeit, welche die beiden Liebenden zu einer harmonischen Einheit von Seele und Leib verbindet.

Wenn es noch eines weiteren Beweises bedürfte, dann lehrt uns dieses Liebesduett, dass Oswalds so häufig thematisierte Freude am Liebesspiel nicht aus äußerlichen Reizen erwächst, sondern aus dem Glücksgefühl innerer übereinstimmung und Zusammengehörigkeit. Das erklärt auch, warum Wolkensteins Liebeslieder so häufig als Duette gestaltet sind, und zwar sowohl die Lieder höfischen Stils als auch die Liedtypen mit Liebesmotiven aus den niederen Stillagen der so genannten ‘Dörper’- oder Schäferpoesie.

Nicht umsonst lauten die Schlüsselworte all seiner Liebeslieder “herz, herzen gier, herzen grund, herzen freude, herzen lust, herzen sel, herzlieb” oder “zart lieb, zart liebster, zart, zärtlich, fro, frölich, freude, freuen, gelück”. Hinzu kommen die unzähligen Diminutive für geliebte Körperteile oder für Elemente der Natur, an denen sich Liebes- und Lebensfreude entzündet (N. R. Wolf, 1977), schließlich die liebevollen Kosenamen und lautmalerischen Koseworte. Mit all diesen neuen Wortformen und Wortkombinationen sinnlich erfahrbarer Gefühlswerte füllt Oswald von Wolkenstein die Verse seiner Liebeslieder in dichtesten Reihungen, in synonymen Häufungen sowie in kunstvoll lebensnahen Bildern. Dank seiner außergewöhnlichen poetischen Einbildungskraft und seiner neuartigen Sprachkunst sind der deutschen Liebeslyrik damit ganz neue Dimensionen der Sinnenfreude, der Zärtlichkeit und der Gefühlsinnigkeit erschlossen.

Dies gilt im übrigen auch für die Liedgattungen, die wie Pastourellen (S. Ch. Brinkmann, 1985), Tanz- oder Trinklieder (W. Schwanholz, 1985) Liebe im unhöfisch dörflichen oder städtischen Milieu inszenieren. Hier beherrschen zwar derbere Spielarten sinnlicher Liebesfreuden die poetische Bühne. Aber im Unterschied zu Neidharts Sommer- oder Winterliedern fehlen bei Oswald die hämischen Untertöne spöttischer Verachtung für die nichtadeligen Stände sowie vor allem Motive von Gewaltanwendungen und Gewaltausbrüchen (U. Müller, 1993). Bäurische Temperamentsausbrüche versteht der Dichter des 15. Jahrhunderts in witzige Rededuelle zu kanalisieren. Dabei erhöhen die perfekt abgelauschte bäurische oder dialektale Ausdrucksweise und die treffsicheren Bilder authentischen Lokalkolorits noch zusätzlich den Sprachwitz der Darstellung oder den ländlichen Charme der Liebesszenen.

Charakteristisch für Wolkensteins musikalische Begabung und seine ‚Klangphantasie’ (H. Moser, 1980) ist zudem die Art, wie er beispielsweise Sinneseindrücke von Vogelgesang (Kl. 50), Frühlingsfeiern (Kl. 21: J. Spicker, 1993) oder von Liebeswonnen (Kl. 53: F. Banta, 1980) in Klangbilder von bezaubernd illusionistischer Wirkung verwandelt. In diesen Liedern steigert sich seine Sprache sinnlicher Wahrnehmung zu rauschenden Festen rein sinnlicher Klangspiele.


Wolkensteins geistliche Lieddichtung und seine neue Sprache sinnlicher Wahrnehmung

Versuchen wir uns an diesem Punkt dem zweiten Bereich geistlicher Themen zuzuwenden, drängt sich zunächst eine andere Frage grundsätzlicher Art auf: Lassen sich geistliche Gesänge eines so sinnlichen Sprachkünstlers wie Oswald von Wolkenstein überhaupt Ernst nehmen? Die Frage scheint aus heutiger Perspektive nur allzu berechtigt.

Im mittelalterlichen Glaubensleben schlossen sich religiöser Ernst und Sinnlichkeit jedoch keineswegs aus. Gerade im Spätmittelalter können wir beobachten, wie sich beispielsweise die Marienverehrung zu einem wahren Schönheitskult in sinnlichsten äußerungsformen wandelt. Den sublimsten Ausdruck fand dieser religiöse Schönheitskult in den bis heute viel bewunderten ‚Schönen Madonnen’. Andere Formen der Versinnlichung des Religiösen haben sich in den übrigen Bereichen der Glaubenspraxis herausgebildet. So wurden bekanntlich die wichtigsten Glaubensinhalte in regelrechten Schauspielen kollektiv aufgeführt und szenisch nachgespielt. Man denke nur an die Passionsspiele, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Andererseits waren innerhalb der mystischen Bewegungen ganz neue Formen privater Andacht entstanden. Dabei war der einzelne Gläubige zum gefühlsmäßigen Nachleben des Heilsgeschehens und zur meditativen Versenkung in die christlichen Mysterien angehalten. Diese in allen Glaubensbereichen wirksame emotional sinnliche Komponente gehört daher zu den typischen Merkmalen spätmittelalterlicher Religiosität (P. Dinzelbacher, 2000, 66-78 u. ö.).

Von diesen zeittypischen Frömmigkeitsformen ist Wolkensteins geistliches Liedschaffen unverkennbar geprägt. Was die Themen betrifft, so bilden bei Oswald wie im Glaubensleben seiner Zeit die Marienverehrung (F. V. Spechtler, 1978) sowie die Besinnung auf die so genannten ‘Vier letzten Dinge’, Tod, Jüngstes Gericht, Himmel und Hölle, die Schwerpunkte (B. Wachinger, 1989, 159-162).

Was die Funktionen angeht, so lassen sich lediglich drei Gesangsstücke liturgischen Zwecken zuordnen: Oswalds Ave Maria (Kl. 109), ein Vesperlied zum Fest Mariae Verkündigung (Kl. 130) und seine Ostersequenz (Kl. 129), alle drei Übersetzungen lateinischer Kirchenlieder. Die überwiegende Mehrzahl seiner rund 35 geistlichen Lieder dient dagegen der privaten Andacht sowie der Laienunterweisung, zu der sich der Autor, wie bereits erwähnt, mit göttlichem Auftrag berufen fühlte. Wie ernst der Dichter diese Verpflichtung genommen hat, zeigt sich beispielsweise in der Anlage seiner beiden Liedersammlungen. In sinnfälliger Optik stellt Oswald nämlich an den Beginn der beiden im eigenen Auftrag entstandenen Prachthandschriften von 1425 (A) und 1432 (B) die gleiche Gruppe geistlicher Lieder über die ‘Vier letzten Dinge’ (Kl. 1-15), ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass er dieser Thematik den wichtigsten Platz in seinem Werk zuweist.

über die subjektive Wertung des Autors hinaus findet Wolkensteins geistliche Lieddichtung auch bei seinen heutigen Interpreten eine starke Beachtung. In der Tat sind dem Dichter auf diesem Gebiet Lieder gelungen, die textlich wie musikalisch zu seinen herausragenden Schöpfungen zählen. Wie vielfach beobachtet hat Oswald von Wolkenstein immer dann Liedtypen ganz neuer und eigener Art entwickelt, wenn er seine eigene Person, seine persönlichen Erfahrungen oder sein eigenes Empfinden zum Medium dichterischer Darstellung macht. So auch hier. Und ähnlich wie in der Liebeslyrik bilden dabei Sinneseindrücke die auslösenden Momente.


Das Marienlied Kl. 34 und Wolkensteins neue Sprache beseelter Sinnlichkeit

Wie Oswald von Wolkenstein Formen sinnlicher Wahrnehmung für die Poetik seiner geistlichen Lieder zu nutzen versteht, mögen zwei charakteristische Beispiele verdeutlichen.

Ich beginne mit dem Marienlied “Es leucht durch graw” (Kl. 34), dessen religiöser Charakter sich allerdings erst auf den zweiten Blick enthüllt.

Oswald eröffnet das Lied mit mehreren visuellen Momenten. Er beschwört zunächst das Bild einer Morgendämmerung. Dann folgt eine Aufforderung an die Geliebte, die Augen aufzuschlagen. Der Dichter setzt also mit zwei typischen Bildformen aus der traditionellen Motivik des höfischen Tagelieds ein. Jeder Zuhörer, der sich jetzt auf eine weltliche Liebesszene einstellt, sieht sich aber rasch in seinen Erwartungen enttäuscht. Denn der Lyriker nimmt im zweiten Teil der Eröffnungsstrophe einen überraschenden Perspektivenwechsel vor. Nun erscheint die Geliebte plötzlich in die Höhe eines Madonnenstandbildes entrückt, dessen Schönheit kein Maler vollkommener gestalten könne. Analog zu diesen ambivalenten Eröffnungsbildern entfaltet Wolkenstein in den beiden Folgestrophen einen der sublimsten Marienpreise des deutschen Mittelalters, indem er traditionelle Sinnbilder Mariens zu persönlichen Erlebnismetaphern umformt.

Die spirituelle Sinngebung dieser erotischen Bildsprache zu entdecken fiel nicht leicht, da Oswald von Wolkenstein in diesem Lied einen besonderen Kunstgriff anwendet (S. Hartmann, 1984/1985). Der Dichter überblendet hier nämlich zwei Sichtweisen: das Sehen mit leiblichen Augen und das Sehen mit geistlichen Augen, so wie es die Methoden mittelalterlicher Bibelauslegung lehrten.

Mit den leiblichen Augen erblickt der Dichter die Gottesmutter als unvergleichliche, irdische Schönheit. Sie hält er als Geliebte in seinen Armen. Kraft ihrer Ausstrahlung erlebt er den neuen Tag mit seiner voll entfalteten Frühlingspracht wie in einem Paradiesgärtlein irdischer Wonnen.

Mit seinen geistlichen Augen nimmt er die Geliebte indes als überirdische Schönheit wahr, welche ihm von seinem Innersten, dem ‘höchsten Thron’ in seines ‘Herzen Kloster’ (V. 29-30), Trost und Erlösung spende. Dank der Suggestivkraft dieser äußeren und inneren Gesichte sind die Bilder der Gottesmutter in Erscheinungsformen von solch lebendiger Gegenwart und inniger Vertrautheit verwandelt, dass sich die Konturen der irdischen und der himmlischen Geliebten laufend überschneiden. Daher kommt der Schluss kaum noch als überraschung, wo der Dichter seine himmlische Geliebte (B. Wachinger, 2001) um Beistand in seiner Todesstunde bittet, wenn sein Haupt zu ihrem ‘feinen Mündlein rot’ (V. 35) niedersinken werde. Mit diesem auch heute noch bewegenden Bild schafft Oswald eine metaphorische Umschreibung für den geistlichen Kuss mystischer Vereinigung, worin höfische Feinsinnigkeit und mystische Gefühlsinnigkeit zu einer neuen Form religiösen Empfindens verschmelzen.

Als Ausdrucksform für diese neue Form intim-persönlicher Marienfrömmigkeit hat Oswald von Wolkenstein, ähnlich wie in der Liebeslyrik, eine neue Sprache beseelter Sinnlichkeit entwickelt. Kraft dieser Sprachgebung erschließen sich neuartige Dimensionen religiösen Erlebens, worin Leib und Seele gleichermaßen erfasst sind und die Grenzen zwischen Menschlichem und Göttlichem im Sog sinnlicher Suggestivkraft aufgehoben scheinen.

Der Tod: sinnliche Erfahrbarkeit und poetische Selbstdarstellung

Ein religiöses Erlebnis gänzlich anderer Art bietet das zweite Beispiel, das Lied “Ich spür ain tier” (Kl. 6).

In diesem Lied schildert der Dichter seine Todesängste in Bildern, wie wir sie von keinem anderen Dichter des Mittelalters kennen. Der Text ist in der Gruppe von Oswalds geistlichen Liedern überliefert, welche die beiden Liederhandschriften eröffnen, denen der Dichter selbst also höchste Bedeutung zugemessen hat. In dieser Liedgruppe wird der Tod niemals als beseligende Utopie liebender Vereinigung mit der Gottheit ausgemalt, wie in dem eben erläuterten Marienlied.

Aber der Tod erscheint in diesem Lied ebenfalls im Bild eines sinnlich wahrnehmbaren Phänomens. Er tritt hier allerdings als Zerstörer von animalischer Gewalt auf, der, einer Naturkatastrophe gleich, über den Dichter hereinbricht. Wieder versteht es Oswald von Wolkenstein, die zerstörerische Macht des Todes in ein packendes Bild von solch sinnlicher Suggestivkraft zu fassen, dass der Eindruck eines unmittelbaren Erlebens und Miterlebens entsteht. Dabei geht die stärkste Wirkung von den Anfangsworten “Ich spür” aus. Das Verb “spüren” bedeutet in der Sprache des Mittelalters mehr als bloßes Fühlen. Es heißt eigentlich ‘mit allen Sinnen wahrnehmen’, bezeichnet somit eine Sinnestätigkeit, die den gesamten Körper erfasst und bis in sein Innerstes vordringt. Genau diesen Vorgang schildern die Bilder der ersten Verse mit beängstigender Konsequenz. Denn so lautet es wörtlich:

“Ich spür ain tier
mit füssen brait, gar scharpf sind im die horen;
das wil mich tretten in die erd
und stösslichen durch boren.
den slund so hat es gen mir kert,
als ob ich im für hunger sei beschert,
Und nahet schier
dem herzen mein in befündlichem getöte;
dem tier ich nicht geweichen mag.”

[Ich spür ein Tier,
die Füße breit, sehr scharf sind seine Hörner,
das will mich in die Erde stampfen,
mit einem Stoß durchbohren;
sein Rachen ist auf mich gerichtet,
als sei ich ihm zum Fraß bestimmt.
Schon naht es mir,
um meinem Herz den sichren Tod zu bringen.
Der Bestie kann ich nicht entfliehen.]

Die Metapher vom Tod als gehörnter Bestie, die den Dichter in die Erde stampfen, durchbohren und verschlingen will, setzt im Zeitalter der Totentänze ganz neue Akzente. Denn im Vergleich zu den gesichtslosen Gerippen der Totentänze gewinnt der Tod hier eine höchst lebendige Gestalt von übermächtiger und daher unausweichlicher Gewalt (M. Schumacher, 2001).

Nicht minder neu wirkt die Bildsprache, die Wolkenstein im Folgenden entwickelt, um die Reaktionen zu schildern, welche die solcherart erfahrene Todesbedrohung in seinem Herzen ausgelöst habe. Dabei blendet Oswald keine neue geistliche Ebene ein. Sein Blick bleibt, wie im Schreck erstarrt, auf sich selbst gerichtet. Er bemerkt, wie sich in seiner Angst seine gesamte Lebenszeit plötzlich zu einem einzigen Tag addiert und vor ihm auftürmt. Das, glaubt er, sei die Vorladung zum Totentanz, wo ihm die gebührende Rechnung für alle seine Sünden präsentiert werde. Er bittet Gott um Hilfe, wünscht sich Aufschub, nur ein einziges Jahr, dann könne er seine große Schuld in kleiner Münze zurückzahlen. So aber füllt sich sein Herz mit Angst und Sorgen. Wer wird seine Seele retten? Wo bleibt die Hilfe seiner Freunde, seiner Lieben? Sie nehmen nur sein Hab und Gut, lassen ihn allein auf seiner letzten Reise. Abermals wendet er sich zu Gott, dort sucht er Schutz, nimmt Abschied von der Welt und fleht: “got, schepfer, leucht mir Wolkenstainer klar!”

Die drängende Fülle seiner Todesängste beschwört Wolkenstein wie mit den Mitteln einer modernen Filmsequenz. So werden wir zu Zeugen, wie die Bilder seiner realen existentiellen Nöte vor seinem inneren Auge in raschester Folge abspulen. Durch diesen poetischen Kunstgriff wandeln sich Oswalds Metaphern irdischer Todesbedrohung zu einem unmittelbaren Ausdruck ganz persönlich erlebter ängste. Damit eröffnet Oswald von Wolkenstein der deutschen Lyrik erstmals die Möglichkeit einer individuellen, wirklichkeitsbezogenen Selbstdarstellung (S. HARTMANN, 1980, S. 176-198).

Gleichzeitig ist damit eine neue Art lyrischer Gewissenserforschung geschaffen, die als Modell für die neuen Formen einer individuellen christlichen Eigenverantwortlichkeit dienen konnte.

Dieses Lied von der Todesbedrohung, wie auch das Marienlied, liefern uns wichtige Einsichten. Wir vermögen nun abzuschätzen, in welch hohem Maße sich Wolkensteins geistliche Dichtung einem christlichen Verantwortungsbewusstsein verdankt. Dieses Verantwortungsbewusstsein beginnt für Oswald bei der eigenen Person. Daher ist die überwiegende Mehrzahl der geistlichen Lieder in autobiographischen Formen verfasst, sei es als lyrisches Bekenntnis, Gebet und Gewissensforschung oder als Glaubenserlebnis und persönliche Meditation über die göttlichen Mysterien. Wie wirkungsvoll Oswald seine neue Sprache sinnlicher Wahrnehmung im Dienste seiner religiösen Bedürfnisse und Aufgaben einsetzt, davon vermitteln uns die beiden so unterschiedlichen Lieder besonders plastische Beispiele.


Sinnliche Wahrnehmung und poetische Strategie: Bedeutung und Grenzen einer Innovation

Gerade die beiden gewählten Liedtypen zeigen jedoch auch deutlich, wo die Grenzen einer poetischen Strategie liegen, welche wie bei Wolkenstein an sinnliche Wahrnehmungen gekoppelt ist. In diesen Fällen entstehen stets neue Momentaufnahmen. Diese lyrischen Momentaufnahmen beeindrucken zweifelsohne durch ihre unvergleichliche poetische Suggestivkraft. Schließlich ist ihre Wirkung auch nach 600 Jahren noch nicht verblasst. Diese Momentaufnahmen schaffen aber ein Nebeneinander von höchst widersprüchlichen Bewertungen. So erscheint der Tod einmal als beseligende Utopie und ein anderes Mal als eine zerstörerische Gewalt von bestialischer Grausamkeit. ähnlich verhält es sich mit den Darstellungen weltlicher Liebe. Während Oswald die Geschlechterliebe in seiner gesamten Liebeslyrik als das höchste menschliche Glück preist, schildert er sie in seinen geistlichen Liedern als eine trügerische Macht, welche ihn in die tiefste Versündigung seines Lebens gestürzt hätte (Th. Nolte, 1996/1997). Das sind nur zwei Beispiele von vielen. Die Zahl inhaltlicher Dissonanzen ließe sich noch erheblich vermehren, da der Dichter seine widersprüchlichen Erfahrungen und Erlebnisse wiederholt zum Thema seiner geistlichen Lieder macht.

Diese offenkundigen Unvereinbarkeiten stellen die heutigen Interpreten der Wolkensteinschen Dichtung vor bisher kaum gelöste Probleme.

Denn bei dem aktuellen Forschungsstand vermögen wir lediglich zu erahnen, dass Wolkensteins offenkundiger Drang zur Selbstdarstellung und seine ebenso evidente Freude an sprachlicher Gestaltung sinnlicher Wahrnehmung einem inneren Bedürfnis des Autors entspringen müssen. Diese Annahme lässt sich vorerst aus der Beobachtung ableiten, dass sich Oswalds dichterische Phantasie immer wieder an Sinnesphänomenen entzündet, ganz gleich, ob er seinen Blick nach außen auf seine Umwelt richtet oder nach innen, um das menschliche Herz bis in seine innersten Winkel auszuleuchten.

Eine weitere Beobachtung verstärkt diesen Eindruck: Lehrhaft abstrakte Erörterungen über allgemeine Fragen christlicher Lebensführung, über grundsätzliche Probleme politischer oder gesellschaftlicher Natur finden bei Wolkenstein kaum Beachtung. Die Themenbereiche weltlicher Lehrdichtung und politischer Lyrik, denen in der spätmittelalterlichen Dichtung vor und neben Oswald große Bedeutung beigemessen wird, sind daher nur mit wenigen Beispielen in seinem Werk vertreten (Kl. 27, 85, 112 z.B.).

Oswald von Wolkenstein und seine neue Gattung autobiographischer Lieder

Umso größer ist die Gruppe autobiographischer Lieder. Sie machen rund ein Drittel seines lyrischen Werks aus und zählen heute zu den originellsten Liedtexten Oswalds von Wolkenstein. Zu Recht. Denn die Lieder dieser Gruppe lassen sich, soweit sie sich nicht anderen geistlichen oder weltlichen Liedtypen zuordnen, kaum noch nach traditionellen Inhaltstypen gliedern. Aussondern kann man allenfalls Lieder zum Thema Reisen (U. Müller, 1968) oder zum biographischen Kontext seiner Gefangenschaften (A. Schwob, 1979). Unter die Lupe einer Detailanalyse genommen entpuppt sich jedes der autobiographischen Lieder jedoch als ein Liedtyp ‘sui generis’ und verdiente daher eigentlich das Prädikat eines Solitärs.

In der Tat gelingt es Oswald in seinen autobiographischen Liedern, Episoden seines ereignisreichen Lebens in immer neuen Variationen zu Erzählliedern oder Situationsschilderungen von ganz eigener Faszinationskraft umzuformen. Hier zieht der Dichter alle Register seiner neuen Sprache sinnlicher Wahrnehmung. Dank seiner außerordentlichen Beobachtungsgabe und seines neuartigen Stils unmittelbaren Erlebens wirken seine Selbstinszenierungen so wirklichkeitsnah und so lebendig, dass wir den genialen Selbstdarsteller durch alle poetischen Maskierungen hindurch leibhaftig vor uns sehen: Oswald von Wolkenstein, unverkennbar, kraft seiner Sprache, unverwechselbar.

Nicht zuletzt deshalb sind Wolkensteins autobiographische Lieder auch am besten erforscht. Um die außerordentliche Zahl an biographischen Einzelheiten zu entschlüsseln, steht uns glücklicherweise eine ungewöhnlich reiche Anzahl an historischen Dokumenten und bildlichen Darstellungen zur Verfügung. Diese Lebenszeugnisse werden von dem Germanistenteam um Anton Schwob in Graz erarbeitet und seit 1999 in mehreren Bänden ediert. Diese Archivalien erlauben es mithin, Oswalds Leben so gut wie bei keinem anderen Autor des Mittelalters zu rekonstruieren (A. Schwob, 1977).

Dennoch bleiben so manche Fragen offen. Unter anderem harrt das grundsätzliche Problem einer Lösung, inwieweit Wolkensteins neue Sprache sinnlicher Wahrnehmung ursächlich mit der Dominanz autobiographischer Themen in seinem lyrischen Werk zusammenhängt.


Vorläufiges Fazit

Außer Zweifel steht jedoch, dass Oswald von Wolkenstein mit seiner autobiographischen Lyrik ein neues Kapitel in der deutschen Literaturgeschichte eröffnet hat. In der Sprachgeschichte war im übrigen mit dem Spätmittelalter ohnehin eine neue Epoche angebrochen. Bekanntlich bezeichnen germanistische Sprachhistoriker den neuen Sprachstand als Frühneuhochdeutsch. Daher sind in der Sprache Oswalds von Wolkenstein bereits fast alle neuhochdeutschen Lautverschiebungen durchgeführt. Auch in dieser Hinsicht hat Oswalds neue Sprache sinnlicher Wahrnehmung die Zeit der mittelhochdeutschen Klassik definitiv hinter sich gelassen.

Einzig in ihren künstlerischen Darbietungsformen bleibt seine Sprachkunst der Sangverslyrik klassischer Minnesänger noch eng verbunden. In dieser Hinsicht musste und durfte sich Oswald von Wolkenstein zu Recht als die ‚Nachtigall’ seiner Zeit fühlen. Insofern trägt sein Werk ein wahres Janusgesicht: Formal weist es zurück in die Vergangenheit des Hochmittelalters, inhaltlich und sprachlich weist es weit voraus in die Neuzeit.


Bibliographische Nachweise

Vorliegende Studie stellt die Druckfassung meiner Antrittsvorlesung dar, die ich am 26. April 2004 an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg gehalten habe. Der hier vorgestellte methodische Neuansatz geht auf mein Würzburger Wolkenstein-Seminar und Vorträge in Frankreich zurück, die ich auf Französisch unter folgendem Titel veröffentlicht habe: Oswald von Wolkenstein (1376/77-1445): Les thèmes de sa poésie, la tradition du Minnesang et son nouveau langage de la perception sensorielle, in: Etudes Médiévales. Editée par Danielle Buschinger. Numéro 4. Amiens 2002 [erschienen 2003], S. 244-259. Angeregt zu diesen Neuüberlegungen haben mich die zahlreichen neuen Forschungen zu Oswald von Wolkenstein, die seit der Gründung der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft im Jahr 1980 erschienen sind. Leider lassen sich hier nicht alle Titel aufführen. Ich verweise stattdessen auf die einschlägigen Bibliographien, Handbücher und das Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft, worin laufend neue Literatur zu Oswald von Wolkenstein erscheint. Ich nutze aber gern die Möglichkeit, hier allen Wolkenstein-Forschern meinen besonderen Dank auszusprechen. Denn nur kraft der vereinten Bemühungen von Mediävisten aus allen Bereichen vermag der Einzelne neue Einsichten zur historischen Bedeutung von Wirken und Werk Oswalds von Wolkenstein zu gewinnen.


I. Quellen, Faksimile und Textausgaben

Karl Kurt Klein (Hrsg.), Die Lieder Oswalds von Wolkenstein, 3. Aufl. Tübingen: M. Niemeyer Verlag 1987 (= ATB 55 = wissenschaftliche Standardausgabe).

Oswald von Wolkenstein. Handschrift A. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex Vindobonensis 2777 der österreichischen Nationalbibliothek, Kommentar von Francesco Delbono. Graz 1977 (= »Codices Selecti« 59).

Oswald von Wolkenstein. Abbildungen zur überlieferung I: Die Innsbrucker Wolkenstein-Handschrift B, hrsg. von Hans Moser und Ulrich Müller. Göppingen 1972 (= »Litterae« Nr. 12).

Oswald von Wolkenstein. Liederhandschrift B, Farbmikrofiche-Edition. Einführung und kodokologische Beschreibung von Walter Neuhauser. München 1987 (= » Codices illuminati medii aevi « 8).

Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein. Edition und Kommentar. Hrsg. von Anton Schwob unter Mitarbeit von Karin Kranich-Hofbauer, Ute M. Schwob und Brigitte Spreitzer, Bd. 1: 1382-1419, Wien/Köln/Weimar 1999, Bd. 2: 1420-1428, Wien/Köln/Weimar 2001, Bd. 3: 1429-14xx, Wien/Köln/Weimar 200x. [Weitere Bände sind in Vorbereitung]

Verskonkordanz zu den Liedern Oswalds von Wolkenstein. Hrsg. von George F. Jones, Hans-Dieter Mück und Ulrich Müller. 2 Bde. Göppingen 1973 (= G.A.G. 40/41).


II. Zitierte Sekundärliteratur

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Siegfried Beyschlag, Zu den mehrstimmigen Liedern Oswalds von Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein. Wege der Forschung. Bd. 526. Hrsg. von U. Müller. Darmstadt 1980, S. 76-106.

S. Christine Brinkmann, Die deutschsprachige Pastourelle. Göppingen 1985 (= G.A.G. 307).

Peter Dinzelbacher: Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum. Band 2: Hoch- und Spätmittelalter. Paderborn 2000.

Gesammelte Vorträge der 600-Jahrfeier Oswalds von Wolkenstein Seis am Schlern 1977. Hrsg. von Hans-Dieter Mück und Ulrich Müller. Göppingen 1978 (= G.A.G. Nr. 206)

Sieglinde Hartmann, Altersdichtung und Selbstdarstellung bei Oswald von Wolkenstein. Die Lieder Kl. 1-7 im spätmittelalterlichen Kontext, Göppingen 1980 (= G.A.G. Nr. 288);

– Zur Einheit des Marienliedes Kl. 34. Eine Stilstudie mit Übersetzung und Kommentar, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft. 3 (1984/1984), S. 25-43;

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– Oswald von Wolkenstein: Es fügt sich, do ich was von zehen jaren alt, in Gedichte und Interpretationen. Mittelalter, hrsg. von Helmut Tervooren, Stuttgart 1993, S. 299-318; wiederaufgenommen in Geschichte der deutschen Lyrik, hrsg. von D. Jaegle, Vom Mittelalter bis zum Barock, Stuttgart 1996 (= »Reclam Klassiker auf CD-ROM«);

– Sigismunds Ankunft in Perpignan und Oswalds Rolle als wisskunte von Türkei, in: Durch aubenteuer muess man wagen vil. Fs. für A. Schwob, hrsg. von W. Hofmeister e.a. Graz 1997, 133-139;

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– Historische Realität und literarische Umsetzung. Beobachtungen zur Stilisierung der Gefangenschaft in den Liedern Oswalds von Wolkenstein. Innsbruck 1979.

Doris Sittig, VYL WONDERS MACHET MINNE. Das deutsche Liebeslied in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Versuch einer Typologie. Göppingen 1987 (= G.A.G. 465).

Franz. V. Spechtler, Beiträge zum deutschen geistlichen Lied des Mittelalters III: Liedtraditionen in den Marienliedern Oswalds von Wolkenstein, in: Gesammelte Vorträge der 600-Jahrfeier. Hrsg. von H.-D. Mück und U. Müller. Göppingen 1978, S. 179-203.

Johannes Spicker, Literarische Stilisierung und artistische Kompetenz bei Oswald von Wolkenstein. Stuttgart / Leipzig 1993.

Burghart Wachinger, Oswald von Wolkenstein, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2. Aufl. Bd. 7. Berlin, New York 1989, Sp. 134-169;

– Blick durch die braw. Maria als Geliebte bei Oswald von Wolkenstein, in: Fragen der Liedinterpretation. Hrsg. von Hedda Ragotzky, G. Vollmann-Profe, G. Wolf. Stuttgart 2001, S. 103-117.

Norbert Richard Wolf: Beobachtungen zur Wortbildung Oswalds von Wolkenstein II: Die Diminutiva, in: Literatur und Sprachkultur in Tirol. Hrsg. von Johann Holzer et al. Innsbruck 1997, S. 81-91 (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe Bd. 55).

Prof. Dr. Sieglinde Hartmann
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