Interdisziplinäres Symposium veranstaltet von der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft in Verbindung mit dem Lehrstuhl für deutsche Philologie des Mittelalters und dem Zentrum für Mittelalterstudien der Universität Bamberg. Leitung: Prof. Dr. Ingrid Bennewitz und Prof. Dr. Bernd Bastert. Ort: Brixen, Südtirol. Programm
Internationales Symposium veranstaltet von der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft in Verbindung mit dem Lehrstuhl für deutsche Philologie des Mittelalters und dem Zentrum für Mittelalterstudien der Universität Bamberg und dem Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters Augsburg. Leitung: Prof. Dr. Ingrid Bennewitz und Prof. Dr. Freimut Löser. Ort: Bischöfliches Priesterseminar der Diözese Bozen/Brixen, Südtirol.
Internationales Symposium veranstaltet von der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft. Leitung: Prof. Dr. Sieglinde Hartmann und Prof. Dr. Bernd Bastert. Ort: Cusanus-Akademie Brixen, Südtirol. Tagungsakten in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft. Bd. 22. 2018/2019.
Interdisziplinäres Symposium veranstaltet von der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft in
Verbindung mit dem Lehrstuhl für Sprache und Literatur des Mittelalters der Universität Augsburg; Leitung: Prof. Dr. Horst Brunner und Prof. Dr. Freimut Löser. Ort: Cusanus Akademie Brixen, Südtirol. Tagungsakten / Proceedings in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft. Bd. 21. 2016/2017.
Interdisziplinäres Symposion veranstaltet von der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft in Verbindung mit der Universität Graz in Kooperation mit dem Institut für Kirchenmusik und Orgel der Kunstuniversität Graz. Leitung: Prof. Dr. Wernfried Hofmeister (Graz), Prof. Dr. Cora Dietl (Gießen) und Prof. Dr. Sieglinde Hartmann (Frankfurt a.M./Würzburg). Ort: Stift Admont (in der Steiermark, Österreich). Tagungsakten / Proceedings in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft. Bd. 20. 2014/2015.
Tagungsbericht von Prof. Dr. Klaus Wolf, Universität Augsburg:
Die diesjährige Tagung der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft hatte wieder großen Zuspruch aus dem In-und Ausland bekommen. Insgesamt hatten sich mehr als 30 Referentinnen und Referenten eingefunden. Der Tagungsort, das Stift Admont, wirkte als besondere Attraktion, weil das Admonter Passionsspiel nicht nur Gegenstand der internationalen Tagung war, sondern, gemäß dem Konzept von Wernfried Hofmeister (Graz) und Cora Dietl (Gießen) sowie Sieglinde Hartmann (Frankfurt am Main), auch quasi am Originalort wiederaufgeführt wurde. Der ‚genius loci‘ war der Teilaufführung inklusive der stilsicher vorgetragenen lateinischen Gesänge überaus günstig. Kein Wunder. Die Leitung lag in den Händen von des O. Univ. Prof. Mag. art. Dr. theol. Franz Karl Prassl, dem renommierten Grazer Musikwissenschaftler und Leiter des Vatikanischen Chors in Rom. Mit dem Admonter Passionsspiel selbst beschäftigten sich die Beiträge von: Stefan Engels (Graz) und Franz Karl Praßl (Graz) aus musikwissenschaftlicher Sicht und Danielle Buschinger (Amiens) sowie Johann Tomaschek (Admont) aus literaturwissenschaftlicher Sicht. Ebenfalls nach Österreich führte der Vortrag von Günther Jontes (Graz) über das Steirische Jesuitentheater. Darüber hinaus wurde das Phänomen Geistliches Spiel, welches in den letzten Jahren verstärkt in den Blickwinkel der mediävistischen Forschung gelangte, aus verschiedenen Disziplinen breit bilanziert und mit neuen Impulsen versehen. Gleich zu Tagungsbeginn eröffnete Cora Dietl dementsprechend „Neue Blicke auf die Kontinuitäten zwischen dem geistlichen Spiel des Mittelalters und dem Drama des Konfessionellen Zeitalters.“ Ebenfalls das konfessionelle Zeitalter thematisierten die Vorträge von Regina Toepfer (Frankfurt am Main) zu den Johannesspielen des 16. Jahrhunderts und Johanna Thali (Freiburg, Schweiz) zur Performanz des Luzerner Weltgerichtspiels von Zacharias Bletz. Zum mittelalterlichen Komplex „Das Komische und das Sakrale“ referierten Verena Linseis und Sandra Desirée Theiß. Den wichtigen Bereich „Geistliches Spiel und Gewalt“ deckten Martin Fischer (Bamberg) und Winfried Frey (Frankfurt am Main) ab, welcher Tradition, Funktion und Wirkung des inszenierten Antijudaismus bilanzierte. Die internationale Ausrichtung sicherten Aneta Bialecka (Wien) und Roman Reisinger (Salzburg) mit ihrem Blick auf den Wiener und italienischen Spielbetrieb. Dagegen thematisierte Reinhard Hahn (Jena) die regionale Verortung von Dramen innerhalb der Spiellandschaft Thüringen, während Klaus Wolf nach den Methoden der Lokalisierung geistlicher Spiele überhaupt fragte. Mit Aufführungsaspekten befassten sich aus neuer Forschungsperspektive Glenn Ehrstine (Iowa, USA – Wie abgelenkt war das Spielpublikum des Mittelalters?), Andrea Grafetstätter (Bamberg – Geistliches Spiel im Neidhartspiel?) und Ursula Schulze (Berlin – Dramaturgische Strategien in Passionsspiel um 1500). Aspekte der Medialität behandelten Cornelia Herberichs (Stuttgart) und Andrea Hofmeister (Graz), welche erstmals Spuren des geistlichen Spiels bei Andreas Kurzmann überzeugend dingfest machen konnte. Elke Ukena-Best (Heidelberg) analysierte systematisch und grundlegend Retextualisierungsverfahren im Heidelberger Passionsspiel. Irma Trattner (Linz) kontextualisierte Mimik und Gestik in Passionsdarstellungen mit der Simultanbühne des Spätmittelalters. Den Teufel nahmen Andrea Moshövel (Duisburg) und André Schnyder (Bern) zum Thema, während die Heiligen Georg und Dorothea durch Simone Loleit (Duisburg-Essen) und Christian Neuhuber (Graz) auf ihre Bühnenpräsenz hin befragt wurden. Sprachwissenschaftliche Aspekte behandelten Peter Andersen (Straßburg) und Gallina Baeva (St. Petersburg). Der Abendvortrag von Stefan Morent (Saarbrücken) gab spannende Einblicke in Marienklagenaufführungen heute. Der Überlieferung des Geistlichen Spiels widmeten sich Vorträge, welche Neufunde und Raritäten eindrucksvoll präsentierten, so das Vorauer Osterspielfragment durch Klaus Amann (Innsbruck) und Ursula Röper mit Hans Jürgen Scheuer (Berlin) zu multimedialen Inszenierungen im Kloster Neuzelle. In der Summe erbrachte die Tagung dank der niveauvollen Referate der Beteiligten wichtige Anregungen und Zukunftsperspektiven für die weitere Erforschung des Geistlichen Spiels. Den allseits beflügelnden Höhepunkt bildete naturgemäß die neuzeitliche Ur Aufführung des Admonter Passionsspiels, zumal Christi Höllenfahrt effektvoll in den Mittelpunkt gerückt worden ist. Der musikalische Direktor, Professor Franz Prassl und seine Mitstreiter, haben die Inszenierung auf DVD aufgenommen – jetzt warten wir gespannt auf die Veröffentlichung dieses Highlights der mediävistischen Szene!
Tagung unterstützt durch die Schweizerische Akademische Gesellschaft für Germanistik, die Schweizerische Akademie der Geisteswissenschaften, den Schweizerischen Nationalfond für wissenschaftliche Forschung, die Faculté des lettres der Université de Lausanne und die Oswald-von Wolkenstein-Gesellschaft, veranstaltet von Prof. Dr. André Schnyder, Prof. Dr. Alexander Schwarz und Prof. Dr. Peter Utz in Lausanne.
Tagungsbericht von Maryvonne Hagby und Barbara Fleith
Zwischen dem 4. und 6. Oktober 2012 fand in Lausanne die interdisziplinäre Tagung „‚Kannitverstan’. Bausteine einer babylonischen Herme(neu)tik“ statt, die durch die Schweizerische Akademische Gesellschaft für Germanistik, die Schweizerische Akademie der Geisteswissenschaften, den Schweizerischen Nationalfond für wissenschaftliche Forschung, die Faculté des lettres der Université de Lausanne und die Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft unterstützt und von Prof. Dr. André Schnyder, Prof. Dr. Alexander Schwarz und Prof. Dr. Peter Utz veranstaltet wurde. Die Tagung gab neunzehn Forschern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Möglichkeit, ihre ästhetischen, poetologischen und literarhistorischen Reflexionen über die sprachlichen und außersprachlichen Bedingungen literarischer Kommunikation auszutauschen. Die im folgenden nach der Chronologie der untersuchten Texte locker geordneten Beiträge kamen aus der Linguistik sowie der alten und neuen Literaturwissenschaft; sie widerspiegeln das vorsichtige und sensible Vortasten der Teilnehmer im Hinblick auf die unterschiedlichsten Verstehensprozesse in und von Texten und auf die vielschichtige Wahrnehmung der verbalen oder nonverbalen Kommunikation auf allen Ebenen der Literarisierung (Figuren, Erzählern und Autoren sowie rezipierenden Lesern).
Die Tagung wurde von André Schnyder eröffnet, der sich für großzügige materielle und ideelle Unterstützung bei den Trägern bedankte. Als Hinführung zum Thema der Tagung leuchtete er mit dem ihm eigenen Humor verschiedene Aspekte der Figur des Hermes aus, der als Erfinder der Leier, als Lenker der Träume und als Götterbote und Dolmetscher für das Verstehen steht, aber auch – so betonte André Schnyder – von Sokrates als Betrüger und von Zeus als beredter Lügner ausgelacht wird. Hermes, dessen Botenfunktion auf der Kraft der Kommunikation und der rhetorischen Rede beruhe, möge als “Hermeneuten aller Hermeneuten” die Referenten dabei unterstützen, Frage des ‚verstan’ und des ‚missverstan’ zu erläutern und auf unerwartete Glücksfunde, auf Hermaia zu hoffen. Auch im ersten Beitrag knüpfte Peter Rusterholz (Bern) an den Titel der Tagung an: Grundlage seiner Untersuchung „zwischen Hermeneutik und Antihermeneutik“ war die „indirekte Mitteilung der Literatur am Beispiel von Johann Peter Hebels und Thomas Bernhards Kurzprosa“. Vor dem theoretischen Hintergrund der Ambivalenz der Interpretation(en) in der Hermeneutik, Antihermeneutik und Posthermeneutik präsentieren die ausgesuchten Texte als Extremformen der Kommunikation Konzepte der Unmöglichkeit des Verstehens bzw. Konzepte eines Nichtverstehens als Voraussetzung für das Verstehen, bei denen Leser wie literarische Figuren jenseits aller fehlenden Identifikation mit den Figuren, aller Irritationen und eindeutigen Lösungen „durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis“ (Johann Peter Hebel in der Erzählung Kannitverstan) gelangen – dies ohne sich „von dem eigenwilligen Autor (…) stören [zu] lassen“ (Thomas Bernhard im Stimmenimitator).
Simone Loleit (Duisburg-Essen) untersuchte ähnlich durch Täuschung und Verwirrung geprägte Formen der Botenkommunikation in der hochmittelalterlichen Literatur. Ihr Beitrag (Sein eigener Bote. Exemplarische Überlegungen zur Botenkommunikation in mittelalterlicher Literatur) stellte am Beispiel des Alexander-Romans die Literarisierung von Botenszenen als Doppelverortung der entsprechenden Figur in eigener und fremder Rede vor. Die Analyse der verbalen und nonverbalen Botschaften des Boten-Königs als Kommunikationszeichen, aber auch des Körpers, der Kleidung und des Benehmens des Helden als semiotisches System weise darauf hin, dass die Botenkommunikation im Antikenroman die Phänomene des Nicht-Erkannt-Werden-Wollens, der Verstellung, des Sendens und Empfangens versteckter Informationen als bewusste Signale von Autor, Erzähler und Figur problematisiere. In der ‚Königstochter von Frankreich’, einem in der Forschung weitgehend vergessenen, 1400 verfassten Roman, den Maryvonne Hagby (Bremen) vorstellte (Kommunikation und memoria in der ‚Königstochter von Frankreich’), funktionalisiert der Autor Hans von Bühel nicht nur einige Szenen, sondern die gesamte Handlung als Darstellung missbrauchter, wieder erstellter und schließlich gelingender Kommunikation: Die Analyse der Figuren- und der Erzählerreden zeigt, dass die Realisierung zeitgenössischer Muster perfekter Kommunikation sich als der Grundgedanke erweist, der dem Werk die Möglichkeit gibt, historia und fiktionale Handlung zu verbinden, um die Entstehung des Hundertjährigen Kriegs zu erklären. Im Roman werden echte und falsche Briefe geschrieben, Befehle angenommen oder ignoriert, kriminalistische Recherchen geführt und lange, öffentliche Beichten gesprochen. Dabei konstruieren Figuren, Erzähler und Autor ein Erfahrungsfeld bzw. eine kollektive memoria, die sie mit den Rezipienten teilen und die dem literarischen Werk Züge einer abgesicherten, überdauernden Informationsquelle verleihen. Viola Wittmann (Bayreuth) stellte in ihrem Beitrag „Funktionale Setzung, Dysfunktionale Konsequenz oder: Wenn Figuren Zeichen setzen. Zur Darstellung von Interpretationsspielräumen (körper)kommunikativer Signale im deutschen „Malagis“ (1474) einen weiteren spätmittelalterlichen Roman vor, in dem die Figuren erneut durch codierte, auf die Lesbarkeit von Welt und Körper basierte Zeichen kommunikative Signale setzen, die ihnen allerdings zum Verhängnis werden. Im „Malagis“ werden sowohl die Performativität der mittelalterlichen Kultur und ihrer Codierungen als auch der illusionäre Charakter der vertrauten Zeichen thematisiert: Die narrativen Techniken der Absicherung, der Verdeutlichung, der Steuerung des Kommunikationserfolgs bilden im Werk einen Metadiskurs, der einerseits Komplizenschaft zwischen Rezipient und Figur erzeuge, andererseits die dysfunktionalen Konsequenzen der Arbitrarität der Zeichen in den Mittelpunkt setze – und der schließlich die Kommunikation scheitern lasse.
Der ‚Melusine-Roman’ wurde von zwei Referenten als Grundlage ihrer Analysen gewählt. Zunächst untersuchte André Schnyder (Lausanne) „Erinnerung und Interpretation in der ‚Melusine’“: Vor dem Hintergrund der Arbeit des Philosophen Emil Angehrn stellte er anhand eines vielseitigen Textmaterials die Erinnerung im Roman des 15. Jhs. sowohl als subjektives Bewusstsein auf Vergangenes (‚Speichern’) als auch als kulturelles Konstrukt vor, das das Subjekt durch Erfahrung, Erlernen usw. vermittelt bekommt (‚Verstehen’) und instrumentalisiert (‚Vergegenwärtigen’). Der Melusine-Roman als „Erinnerungsroman“ reflektiere vielfach implizit und explizit (wie das Beispiel der vielfältigen Funktionalisierung von Erinnerung in Verbindung mit dem Jagdunfall verdeutliche) die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit und die Grenzen eines den Zusammenhang von historia, memoria und Interpretation verstehenden Erinnerns, wobei nicht nur die primäre Rezeption der französischen Vorlage als deutendes Weiterschreiben verstanden werde. Aus einer anderen Perspektive verglich Andreas Lötscher (Basel) in seinem Beitrag „Von spätmittelalterlicher Nüchternheit zu barocker Etikette: Die literarische Gestaltung des kommunikativen Verhaltens in den verschiedenen Versionen des ‚Melusine’-Romans die frühen Drucke des Romans Thürings von Ringoltingen im späten 15. Jh. mit der 1700 gedruckten ‘Historischen Wunderbeschreibung von der Schönen Melusine’ (HWb). Basierend auf einer syntaktischen, stilistischen und inhaltlichen Analyse zahlreicher (leicht) veränderter Stellen konnte der Vergleich der Kommunikations- bzw. speziell der Höflichkeitsprinzipien sowie die Untersuchung des Geschlechterdiskurses zeigen, dass der eher nüchterne, sachliche Kommunikationsstil der Vorlage durch einen ‚barocken Komplimentierstil’ ersetzt wird: Im Verlauf der Drucktradition habe eine konsequente historische Uminterpretation des vorgefundenen Textes bzw. eine Umformung der feudal geprägten, literarischen Gesprächstradition im Sinn einer rezeptionsorientierten, absolutistischen Zeremonialisierung der Kommunikation und des Miteinanders stattgefunden.
Werner Röcke (Berlin) beschrieb die Grammatik „schiefe(r) Dialoge [als] Inversion von Kommunikation und Sinn im Komischen Roman des Spätmittelalters“ anhand von Wittenwilers ‚Ring’ (um 1410) und dem ‚Finckenritter’ (anonym, 1560 gedruckt). Die Radikalisierung der Missverständnisse auf der Figurenebene führe im ‚Finkenritter’ zu einer Komik, die eine ausgeprägte Lust an der Inversion aller Kommunikationsmittel und Ordnungen erzeugt; im ‚Ring’ zu einem Zwang zur Eskalation, also zu jener Spirale, die in der Verbindung von Gewalt und Rache in die Katastrophe mündet. Da die Komik darauf verzichte, das Positive der Kommunikation zu suchen, werde sie nicht mehr als Bedrohung aufgefasst: Beide Autoren wählen bewusst Formen eines radikalisierten „Auf den Kopf Stellens“, bei denen die Maßstäbe herkömmlicher zeitgenössischer Kommunikation und Wahrnehmung nur noch Verwirrung und Befremdlichkeit erzeugen; dadurch entstehe in beiden Handlungen eine „sprechende Sprachlosigkeit“, die als Indikator für eine in Gewalt umschlagende Kommunikation bzw. für eine Welt, die aus den Fugen gerät, instrumentalisiert werde. Mit dem ‚Reinke de Vos’ im Lübecker Druck von 1498 beschäftigte sich Catherine Drittenbass (Lausanne) in ihrem Vortrag: „Kumpt he to worden, men hanget ene nicht. Füchsische Kommunikation im niederdeutschen Tierepos“. Ihre präzise linguistische Dialoganalyse verdeutlichte, dass die Sprach- und Redegewandtheit des Fuchses, die List mit Logik verbindet und auf Opportunismus, Heuchelei, Lüge und Skrupellosigkeit sowie auf das grundsätzliche Unterschätzen der Verfänglichkeit der Wörter durch die Gegner basiert, einerseits austauschbar, andererseits messerscharf durchdacht und kalkuliert ist. Rezeptionshistorisch wichtig sei, dass die Faszination für den hinterhältigen Fuchs, die daraus erwächst, vom Autor nicht nur zugelassen, sondern ausdrücklich gefördert werde. Kristin Eichhorn (Kiel) blieb im Bereich der lehrhaften (Tier-) dichtung und fragte in ihrem Beitrag, “wie [man] moralische Lehren ohne Kommunikation der Belehrungsintention kommuniziert“ (Der mitdenkende Leser als Kernproblem in der aufklärerischen Fabeldiskussion). Weil die Umsetzung der Lehrintention in der Aufklärung durch die Annahme eines denkenden Lesers, der sich lieber auf seine eigene Urteilskompetenz verlässt, sehr schwierig geworden sei, versuche die Fabeldichtung, neue moralische und ästhetische Urteilskompetenz aufzubauen, indem das Publikum durch Umarbeitungen zum konsequenten Umdenken gezwungen und Lehre als immer wieder überraschendes „Entschlüsselungsangebot’ an den Leser weiter gegeben werde. Dabei führe gerade das Scheitern der überlieferten Lehrkommunikation auf eine höhere Ebene ihres kommunikativen Erfolgs: Wenn der Leser die der traditionellen Fabel inhärente, didaktisierende Kommunikation ablehne, zeige er, dass ihn die eigentliche Lehre (die Erziehung zu eigenständigem Verstehen und kritischer Urteilskompetenz) erreicht habe. Ausgehend von der Brautwerbungsszene der Agneslegende in ihrer wirkmächtigsten lateinischen Fassung (BHL 156) und der deutschen Übersetzung im sog. ‘Solothurner Legendar’ fragte Barbara Fleith (Lausanne) in ihrem Beitrag „do sant Agnes … dis gerette, do wande er, si meindi ein andern liplichen man. Zu ‚Missverständnissen’ in hagiographischen Texten“, warum misslungene Dialoge in Legenden häufig eingesetzt werden. Die neutestamentliche Tradition selbst verweise darauf, dass biblische Berichte auf mehreren Ebenen zu verstehen seien bzw. die Kommunikation bereits in den Evangelien zu Missverständnissen führe: Da von den Christen im Mittelalter eine besondere Lesefähigkeit für solche mehrperspektivischen Verweisstufen erwartet werde, könne die Gestaltung von Missverständnissen in Heiligenlegenden als Schulung dieser Eigenschaften funktionalisiert worden sein. Schließlich weise die Untersuchung der Einleitung in der Agneslegende darauf hin, dass es sich hier nicht um eine einfache Brautwerbungsszene handle, sondern dass rhetorische Formen, Wort- und Bildmaterial die heilige Agnes als Braut des Lammes präsentieren, so dass eine eschatologische Heilsvorstellung in der Märtyrerin lebendig werde. Erneut im Bereich religiöser Dichtung untersuchte Franz Simmler (Berlin) „das Passionsspiel um 1500 und sein Verhältnis zur Passionsüberlieferung“ (Zur Rolle von Text, Intertextualität und Diskurs beim Gelingen von Kommunikation). Als die Textsorte des Passionsspiels bestimmend wies er nicht nur auf bestimmte Makrostrukturen, sondern auch auf syntaktische Strukturen hin, die in isoliert gebrauchten Verbalsätzen, Nominalsätzen in Anredefunktion bzw. in einer Reihe von Gesamtsätzen aus zwei bis sechs Teilsätzen bestehen. Seine nach Auswahl, Frequenz und Distribution gerichtete empirische Analyse zeigte, dass in den Rollentexten gegen die Meinung der bisherigen Forschung keine einfache Syntax vorliegt, sondern ganz im Gegenteil möchte die textuelle Funktionalisierung dieser syntaktischen Strukturen durch alttestamentliche Präfigurationen, Mahnung, Warnung, Erzeugung von ‚compassio’, von Jubel u.a.m. Kommunikation und Meinungsbildung fordern.
Regina Hartmann (Stetin) stellte in ihrem Vortrag „Sprechakte ohne kommunikationsfähige Sprache: First-Contact-Szenen in Otto von Kotzebues „Entdeckungs-Reise“ (1821) und Adelbert von Chamissos „Reise um die Welt“ (1836)“ zwei bzw. drei Texte vor, die in ihrem performativen Charakter sowohl von den ausgetragenen Kommunikationsschwierigkeiten (Sprachlosigkeit, Missverstehen von Ritualen und Körpersprache, Missachtung der fremden Kulturen) zeugen, mit denen die Europäer konfrontiert wurden, als auch von der Unfähigkeit dieser, von überheblichen Gefühlen Abstand zu nehmen: Der Kapitän Kotzebue fühlt sich (trotz sachlicher Schilderung) den „Wilden“ gegenüber aufgrund seiner Kultur überlegen, während Chamisso sich zwar zum Dolmetscher der Zeichensprache der Inuits macht, doch in seiner Selbstdarstellung als Naturforscher von einem rousseauischen Fortschrittsoptimismus geleitet wird, der ihn oft daran hindert, das Scheitern der Kommunikation zu dokumentieren bzw. zu erkennen.
Die nächsten Beiträge widmeten sich (der Einladung von Prof. Utz in seiner Einführung des zweiten Tags folgend) Fragen nach dem Verstehen und Missverstehen am Anfang des 20. Jhs. Wolfgang Beutin (Karl Kraus – eine Sprachtheorie oder keine?) stellte den vielleicht wichtigsten Sprachkritiker seiner Epoche, Karl Kraus (1874–1936), als einen Intellektuellen vor, der die Sprache nicht beherrschen wolle, sondern sie als Befruchtung des Denkens verstand – dessen Denken entsprechend als Sprachreflexion in punktuellen Skizzen einer „Poesie der geraden Linien“ zu betrachten sei. Der Versuch, dem Zusammenhang im Sprachdenken des Philologen auf die Spur zu kommen, ließ erkennen, dass die polemische Frage, ob die Überlegungen von Karl Kraus eine Sprachtheorie bilden oder nicht, kaum zu beantworten sei.
Arno Dusini (Wien) wählte als theoretischen Rahmen seines Vortrages (Shifter. Pronominalisierung bei Roman Jakobson und Robert Walser) das Kommunikationsmodell von Jakobson und untersuchte vor diesem Hintergrund den Brief von Walser (1925), der von seinem Autor eindeutig als Illusion von kommunikativer Intimität und von brieflicher Gegenwart konzipiert wird. Die Analyse der „Shifter“ als Sprachindikatoren spezifischer Kommunikationsstrukturen, deren Bedeutung vom jeweiligen Kontext der Äußerung abhängt (hier und dort, jetzt und vorhin, ich und du bzw. Sie), zeige, dass die Sprache des Briefes den Zweck des Kommunikationsmodells verfehle bzw. dass Walsers Text die Verpflichtung der Briefrede als soziale Form akzeptiere, obwohl er von jener Dialektik lebe, die ihn eher als konstruierte denn als reale Kommunikation entstehen lasse. Diesen Befund verstärkte der Vortrag von Jens Hobus (Berlin) (‚Sind wir denn berufen, einander zu verstehen […]?’ Literarische Sprachkritik und Kommunikationsstrategien im Werk Robert Walsers), der sich dieses Mal aus literarischer Perspektive mit den sprachkritischen Reflexionen Walsers als Bestandteil seiner Texte auseinandersetzte: Die analysierten Stellen verdeutlichten, dass die Sprache Walsers für Spiele geöffnet wird, die ihre Materialität aufwerten, die jedoch auch ihre Arbitrarität und die Paradoxie eines Verstehens als sprachlosen Prozesses hervortreten lassen. Die dazu entwickelte, auktoriale Inszenierung der Verfahren der Bedeutungsgenerierung weise darauf hin, dass für den Autor Walser gerade das Nicht-Verstehen die Voraussetzung literarischer Kommunikation bilde bzw. dass daraus ästhetischer Gewinn entstehe – und zwar seiner Frage entsprechend: „Sind wir nicht vielmehr auserlesen, uns zu verkennen, damit (…) sich die Verhältnisse zu [einem] Roman gestalten, der nicht möglich wäre, wenn wir uns kännten?“ (BG 3,147). Aus einer verwandten Perspektive ging Ulrich Stadler (Zürich) in seinem Vortrag (‚Mit Menschenverstand nicht mehr zu begreifen’. Über Missverständnisse und Unverständnisse der Prosa Kafkas) von der Feststellung aus, dass Kafkas Wortschatz keinerlei Extravaganzen aufweise, seine Texte dennoch große Verständnisschwierigkeiten bereiten, weil der Autor alle Formen der Reflexion, die das Verständnis der Werke erleichtern könnten, verweigert. Dieses Fehlen jeglicher autopoetologischen Hinweise lässt der Interpretation zwar große Spielräume frei; es erlaubt aber auch die These, dass die dadurch provozierten Missverständnisse konstitutive Voraussetzung für ein Verstehen anderer Art seien – bzw. genauer dass Kafkas Prosa im Leser „nicht nur“ die Reflexion des eigenen hermeneutischen Unvermögens bewirken soll, sondern dass das (leserorientiert einkalkulierte) Unverstandene zum Motor einer Lesung der Texte werde, die keine Reduktion ihrer Komplexität impliziere. Marc Caduff (Zürich) stellte einen weiteren Roman des frühen 20. Jhs. vor (Die Kritik der Krisen. Ironische Medienreflexionen in Eduard von Keyserlings ‚Wellen’) und analysierte darin die Kommunikation aus poetologischer Sicht. Er zeigte, dass die Problematisierung der Leistungsfähigkeit von Sprache, Deuten und Verstehen im den Roman charakterisierenden Prozess der Ästhetisierung der Wahrnehmung auf die Unmöglichkeit des Miteinandersprechens hinweise bzw. in die Frage münde, ob nicht ganz auf Sprache verzichtet werden kann (im Roman würden die Figuren u.a. den Tanz als Experiment medialer Verbindung dem Gespräch vorziehen) und wies darauf hin, dass solche Überlegungen auf den Impressionismus zurückweisen.
Daniel Rellstab (Vaasa) stellte in seinem Beitrag (Nicht-Verstehen als Problem [in] der Schule: Die ästhetisierte und die ethnomethodologische Perspektive) die Frage, wie und ob es möglich wäre, den Graben zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern dialoganalytisch zu beschreiben (und zu überbrücken) und untersuchte dazu zwei Wiedergaben von Lehrsituationen: einmal eine Szene in Thomas Valentins „Die Unberatenen“ (1963) als literaturinszeniertes Gespräch, dann ein reales, zeitgenössisches Gespräch im Unterricht in der Westschweiz. Die Gegenüberstellung der beiden Texte, die den deutlichen Unterschied zwischen der ästhetisierten Hermeneutik des Nichtverstehens bei Valentin und der alltäglichen Hermeneutik (und Praxis) des Verstehens in der realen Lehrsituation offen legte, problematisierte die Grenzen der Inszenierung der Dialoge im Roman bzw. die Hintergründe und Folgen der Literarisierung von (Non-) Kommunikationserfahrungen.
Im letzten Beitrag der Tagung (Eulenspiegel oder die Kunst, nicht zu verstehen) nahm Alexander Schwarz (Lausanne) die Hermesfigur noch einmal auf, weil er Spuren von ihr in den Polen des semiotischen Dreiecks wieder findet: die Erstheit stehe in Verbindung mit der Präsenz des Gottes, die Zweiheit mit dessen Botenfunktion und dem Verstehen (Hermeneutik) und die Drittheit mit der Hermetik, die ihrerseits an die geheimnisvollen Schriften denken lasse, die Hermes zugeschrieben werden. Als Ausdruck dafür, dass die Kommunikation nicht immer gelinge, führe Serres als Störfaktor zwischen zwei Kommunikationspartnern den Gedanken des ‚Parasiten’ ein, als dessen Personifikation Alexander Schwarz den (im Hinblick auf das Zusammenspiel von Eule, Gesicht und Spiegel auch ‚dreiköpfigen’) Eulenspiegel darstellte, so dass der mittelalterliche Held als Figur des permanenten Missverständnisses bzw. als Herrscher über die Kommunikation, der sich gern in Kommunikationsprozessen zwischen den Sprechern setzt und ein Verständnis grundsätzlich unmöglich macht, die Reihe der Beiträge abschloss.
Zum Rahmenprogramm der Tagung gehörte, neben einem gemeinsamen Abendessen und einem Picknick, bei dem der Genfer See als beeindruckende Kulisse diente, ein anregender Besuch der “Collection de l’art brut” in Lausanne, dessen Führer die Teilnehmer durch die einzigartigen ständigen Sammlungen und die Ausstellung „Aloïse, le ricochet solaire“ leitete, die der 1964 verstorbene Künstlerin gewidmet war. Dieses Fächer und Grenzen überschreitende Lausanner Gespräch war die letzte Tagung, die André Schnyder in seiner aktiven Berufszeit organisiert und mitgeleitet hat, ein Gespräch, das nach seinem Bilde geprägt war: freundschaftlich, anregend, intelligent und kreativ.
Interdisziplinäres Symposium veranstaltet von der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft in Verbindung mit dem Zentrum für Mittelalterstudien (ZEMAS) der Universität Bamberg; Leitung: Prof. Dr. Ingrid Bennewitz, Prof. Dr. Horst Brunner und Prof. Dr. Sieglinde Hartmann. Ort: Cusanus Akademie Brixen, Südtirol. Tagungsakten/Proceedings in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft. Bd. 19. 2012/2013.
Tagungsbericht von Sabrina Hufnagel und Andrea Schindler, Bamberg
Die Brixener Tagung der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft widmete sich diesmal zentral dem Namenspatron Oswald von Wolkenstein und seinem Werk. Sie wurde in Kooperation mit dem Zentrum für Mittelalterstudien und dem Lehrstuhl für Deutsche Philologie des Mittelalters der Universität Bamberg von Prof. Dr. Ingrid Bennewitz (Bamberg) und Prof. em. Dr. Horst Brunner (Würzburg) in alter Tradition in der Cusanus Akademie Brixen veranstaltet. Besonderes Augenmerk galt dabei den Liedern Oswalds als Wort-und Tonschöpfungen vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Liedkunst sowie der Frage nach der Wirkungsmächtigkeit (auto)biographischer Referenzen in Wolkensteins Œuvre. Ziel der Tagung war es, im Anschluss an die jüngeren methodischen Entwicklungen im Bereich der mediävistischen Literatur-und Musikwissenschaft unter Berücksichtigung des bisher von der Forschung Erreichten eine Akzentverlagerung hin zu einer Neubewertung von Oswalds Liedern in ihrer spezifischen Poetik bzw. als genuine Text-Melodie-Schöpfungen zu vollziehen. Freimut Löser (Augsburg) ging im Eröffnungsvortrag zum Thema „Oswald als geistlicher Dichter und sein geistlicher Horizont“ der Frage der religiösen Motivik und ihrer theologischen Verortung nach. Nach einem Überblick über diejenigen Lieder Oswalds, die man als ‚geistliche’ bezeichnen kann, stand in Fallbeispielen vor allem das Aufeinandertreffen von Geistlichem und Weltlichen in der Liedkunst und im Leben des Dichters selbst zur Diskussion. „Oswalds Marienlieder im Kontext der spätmittelalterlichen lateinischen geistlichen Lyrik“ standen im Zentrum des Vortrags von Stefan Rosmer (Basel). Dabei betrachtete er die verschiedenen musikalischen Traditionen der zeitgenössischen Lieddichtung im Zusammenhang mit liturgischen Abläufen und wies anhand von Kl 109a nach, dass Oswald eine Vertrautheit mit der lateinischen Liedkunst nicht abzusprechen ist. Dies wurde durch eine Analyse der Marienlieder überprüft. Beate Kellner (München) widmete sich in ihrem Vortrag den „Minne-und Weltabsagen bei Oswald von Wolkenstein und Walther von der Vogelweide“. Anhand „exemplarische[r] Überlegungen zu L 66, 21 und Kl 1“ arbeitete sie auf der Basis der Traditionslinien die Entwicklung hin zu deutlichen biographischen Bezügen aus. Während die Lebensumstände bei Walther allenfalls angedeutet sind und sich stärker auf die Rolle als Minnesänger und Sangspruchdichter beziehen als auf individuelle Ereignisse, scheinen Oswalds Lieder auf den ersten Blick sehr viel deutlicher durch konkrete Bezüge auf das Leben des Sängers geprägt. Zentraler Ansatz biographischer Deutungen gerade im Œuvre Oswalds von Wolkenstein ist das Sprecher-Ich, das sich auch in einigen Liedern z.B. als ‚Wolckenstainer‘ (z.B. Kl 118, IV,7) benennt. Dieses „poetische Spiel mit autobiographischen Elementen“ untersuchte Regina Toepfer (Frankfurt/Main) in Bezug auf Fiktionalisierungskonzepte und zeigte mit einer Analyse der Inszenierungsstrategien und Rollenmuster am Beispiel von Kl 3, 33 und 39 die Literarisierungstechnik Oswalds, mit der über die gesetzten biographischen Bezüge hinaus Signale gesetzt werden, die die Texte durch divergierende Rollenzuschreibungen als poetisches Spiel kennzeichnen. Grundlegende Überlegungen zum Verhältnis von Autor und Werk stellte Manuel Braun (Stuttgart) in seinem Vortrag zu „Lebenskunst. Zum Status biographischer Referenzen in Oswalds Liedern“ an. Dabei analysierte er an zentralen Beispielen die Differenz von historischen Dokumenten und ‚Kunstwerken‘ und erarbeitete Vorschläge, wie sich die biographischen Versatzstücke in Oswalds Liedern verstehen lassen. An ausgewählten Liedern beschrieb Ricarda Bauschke-Hartung (Düsseldorf) in ihrem Vortrag („Spiel mit Faktizität“) Verfahren des Umgangs mit faktischen Bezugsmöglichkeiten und arbeitete deren Funktionalisierung für die Sinnstiftung im jeweiligen Lied heraus. Dabei konnten einerseits in den Realitätsbezügen strategisch gesetzte Identifikationsangebote an das Publikum sowie andererseits Verfremdungseffekte sichtbar gemacht werden, mit denen der Vortragende Oswald die Deutungshoheit über seine Lieder in der eigenen Hand behalten will. „Reim und Rhythmus bei Oswald von Wolkenstein“ untersuchte Burghart Wachinger vor dem Hintergrund von zeitgenössischen Leitvorstellungen und Praktiken (Alternation, Füllungsfreiheit, Silbenzählung, Kadenzentausch). Anhand von Kl 12, 19, 37, 42 und 85 fragte er danach, warum Oswald sich bei einzelnen Liedern mehr Freiheiten als bei anderen erlaubt und analysierte minutiös, wie der Autor aus dem Spiel der Rhythmen und Reime artistisches Kapital schlägt. Kathrin Gollwitzer-Oh (München) fokussierte in ihrem Vortrag „Wissen – Sinne – Imagination. Überlegungen zu Oswald von Wolkenstein“ anhand des Tagelieds „Ain tunckle farb“ (Kl 33) die Relation von Erinnerung und Vergegenwärtigung (memoria und imaginatio) und lotete die Möglichkeiten, Bedingungen und Grenzen des Imaginierens innerhalb der Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Vorstellung aus. Zur Diskussion standen dabei gerade auch die Spielräume und Konventionen des Imaginierens als Teil der durch das Sänger-Ich erzeugten ‚Kunstwelt‘. Der Frage nach der ‚Modernität‘ der Dichtung Oswalds von Wolkenstein ging Michael Dallapiazza (Urbino) in seinem Vortrag nach („Ist Oswalds Liedschaffen ‚protomodern‘? Überlegungen zu einem heiklen Thema“). Er betrachtete Oswalds Lieder weniger im Lichte des denkbaren Renaissanceeinflusses, sondern vorrangig unter formalen Gesichtspunkten einer Innovationsästhetik und der Öffnung der Sprache auf das Fremde, zunächst Fremdsprachliche hin, welches das Eigene bereichert. „Komik bei Oswald von Wolkenstein“ stand im Mittelpunkt des Vortrags von Frank Fürbeth (Frankfurt/Main). Dabei versuchte er auf der Basis antiker, mittelalterlicher und moderner Komiktheorien eine Zusammenschau der komischen Elemente in Oswalds Werk, welche einerseits die jeweiligen komisierenden Strategien analysiert und andererseits einer möglichen Präferierung in bestimmten Liedtypen nachgeht. Unter dem Titel „Die Reiselieder Oswalds von Wolkenstein im Kontext spätmittelalterlicher Geselligkeit“ untersuchte Tomas Tomasek (Münster) die sog. Reiselieder Oswalds von Wolkenstein im Spannungsfeld von Biographie und Liedkunst. Der Einsatz von anekdotenhaftem Erzählen, das ‚Insiderwissen‘ des Publikums voraussetzt, suggeriert dabei zunächst eine Faktizität des Dargebotenen; die Texte bieten darüber hinaus aber immer wieder Signale, die den Rezipienten an der Glaubwürdigkeit des Sängers zweifeln lassen. Somit entsteht eine klare Hierarchie von ‚Unterhaltsamkeit‘ und ‚Wahrheit‘. Mit den Vorträgen von Ursula Schulze (Berlin) und Hans Moser (Innsbruck) zu den Themen „Syntaktische Strukturen“ und „Regio und Soziolektales“ in den Liedern Oswalds von Wolkenstein wurden Varianz und Kunstfertigkeit auf der sprachlichen Ebene in den Blick genommen. Während Ursula Schulze zeigen konnte, wie Oswald auf der Grundlage üblicher Verfahren die verfügbaren syntaktischen Mittel flexibel einsetzt, um bestimmte Effekte zu erzielen, die dem Thema eines Liedes oder einzelner Passagen entsprechen, versuchte Hans Moser durch eine genaue Analyse der Textüberlieferung in allen Handschriften nachzuweisen, dass nicht nur Kl 82, sondern auch Kl 79 soziolektale Gegensätze auf mehreren sprachlichen Ebenen zum Mittel dichterischer Darstellung macht. Patrizia Mazzadi (Urbino) befasste sich in ihrem Vortrag „Oswald von Wolkenstein übersetzen: Fragestellungen, Problematiken und mögliche Lösungen“ mit Strategien einer Übersetzung von Oswalds Liedern ins Italienische. Anhand von ausgewählten Liedern legte sie dar, dass dieses Unterfangen nicht nur sprachliche Kunst, sondern vor allem auch ein umfassendes Verständnis des Werkes vom Übersetzer fordert. „Zeit und Ewigkeit bei Oswald“ untersuchte André Schnyder (Bern) anhand einer philologischen Analyse der zentralen Stellen im Œuvre Oswalds von Wolkenstein. Ausgangspunkt waren dabei neue Forschungsergebnisse der Geschichtsforschung und die Frage, ob die moderne Zeitmessung mit öffentlichen Räderuhren Spuren in Oswalds Liedern hinterlassen hat. Bei einer Betrachtung von Kl 44 stand vor allem das beherrschende Thema der Langeweile und der Depressivität im Fokus, im Anschluss daran wurde in einem dritten Schritt die Topik der knappen Lebenszeit im Angesicht der Ewigkeit in einer Reihe der erbaulich-didaktischen Lieder Oswalds analysiert. Als zentrales Thema der Dichtung des ‚letzten Minnesängers’ stand der Motivkomplex um Liebe und Begehren im Mittelpunkt der Vorträge von Fritz Peter Knapp (Heidelberg) („o werltlich lieb, wie swer sind deine pünt. Oswalds Liebesauffassung im Rahmen der regionalen und überregionalen Tradition“) und von Gert Hübner (Basel: „feur in dem tach. Das Begehren, Oswalds Liebeslieder und der Minnesang“). Fritz Peter Knapp stellte Oswalds Liedschaffen in den zeithistorischen Kontext u.a. von Hugo von Montfort, Hans Vintler und der deutschen Bearbeitung der ‚Remedia utriusque fortunae‘ Petrarcas; darüber hinaus wurde der Diskurs auch in Quellen aus den Bereichen der Moraltheologie und der Gattung der Predigt untersucht. Dass Oswald das traditionelle Konzept von Liebe und Begehren sehr wohl ‚noch‘ verstanden hat, zeigte Gert Hübner anhand diverser parodistischer Aktualisierungen in Oswalds Liedern. Indem das alte Ausdrucksrepertoire des Minnesangs weiterhin benutzt, aber von seinem konzeptionellen Bezug abgelöst wird, übernimmt es neue Funktionen. Dieser Umcodierungsprozess und seine Differenzen zum vergleichbaren Vorgang in den Liebesliedern des Mönchs von Salzburg kennzeichnen Oswalds Ausnahmestellung. Dem ausdrücklichen Ziel der Tagung, Wort und Ton gleichermaßen in den Blick zu nehmen, trugen nicht zuletzt die Vorträge von Reinhard Strohm (Berlin) zu „Lied und Musik“, Valerie Wolf (Köln) zur „Musikalische[n] Varianz in den einstimmigen Liedern Oswalds von Wolkenstein“, von René Wetzel und Robert Schulz (Genf) zur „Ästhetische[n] Komplexitätsreduktion und Steuerung der Wahrnehmung in polyphonen Liedern am Beispiel von Oswalds von Wolkenstein ‚Stand auff, Maredel’ (Kl 48)“ sowie von Franz-Josef Holznagel und Hartmut Möller (Rostock) zur „Übernahme der ‚Großen Tageweise’ des Peter von Arberg im Werk Oswalds von Wolkenstein (Kl 16, 17,20 sowie Kl 28-32 und Kl 117)“ Rechnung. Mit der grundlegenden Problematisierung des Begriffsverhältnisses von Lied und Musik strebte Reinhard Strohm neue Interpretationsmöglichkeiten der Lieder Oswalds an und forcierte eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von germanistischer Liedforschung und Musikgeschichte. Er problematisierte dabei insbesondere das Begriffsverhältnis von Lied und Musik. Die besondere Varianz der notierten Musik im Werk Oswalds diskutierte Valerie Wolf anhand der erheblichen Unterschiede in den beiden Haupthandschriften A und B. Ihre Untersuchung der Varianten konnte Aufschluss über die Praxis der Kontrafaktur sowie über die Verwandtschaft der Vorlagen geben; die Varianten lassen außerdem Rückschlüsse auf die Aufführungsformen mittelalterlicher Lieder und das musikalische Denken Oswalds zu. René Wetzel und Robert Schulz zeigten in ihrem Beitrag, dass sich die komplexen Texte nicht zwingend einer primär performativen Rezeption verschließen, sondern vielmehr durch eine Analyse der Kompositionstechniken gezeigt werden kann, welche Informationen primär die Wahrnehmung beeinflussen. Auf diese Weise wird eine Meta-Ebene von Informationen erkennbar, die dem Texte oft eine zusätzliche Dimension verleiht. Sie legten dar, dass bei einer Aufführung komplexer, polyphoner Text-Musik-Werke mit der Rezeption durch ein aufmerksames Publikum von Spezialisten zu rechnen ist. Franz-Josef Holznagel und Hartmut Möller zeichneten beispielhaft die Übernahme von Strophenbauplänen im Werk Oswalds von Wolkenstein nach. Im Fokus standen dabei sowohl Oswalds Arbeitstechniken als auch deren Einordnung in das Feld der spätmittelalterlichen Typen der Retextualisierung. Als relative Verselbständigung der textmetrischen Struktur beschrieben sie dabei das Verfahren Oswalds, zu älteren Strophenstrukturen neue Melodien zu schaffen, was sich in eine allgemeine Tendenz der spätmittelalterlichen Lyrik einordnen lässt. Der eher ‚klassischen’ mediävistischen Frage nach Überlieferung und Edition widmeten sich die Vorträge von Susanne Homeyer und Inta Knor (Halle) („Über die Bedeutung der Materialität für Edition und Interpretation am Beispiel der Streuüberlieferung Oswalds von Wolkenstein im Rahmen der Neuedition des ‚Liederbuches der Clara Hätzlerin’“) sowie von Klaus Kipf (München) zu „Oswalds Pastourellen (Kl 76 und 83) in ihren Überlieferungskontexten“. Gerade auch in Hinblick auf mögliche zeitgenössische Rezeptionsmuster analysierten Susanne Homeyer und Inta Knor die Abbildung des Einzeltextes (Kl 88 und Kl 91) in seinem spezifischen Sammlungskontext (Prag Nationalmuseum, X A 12, Halle, 14 A 39, künftig Leipzig Ms 1709 u. Berlin, Mgf 488). Zur Diskussion stand dabei vor allem die Bedeutung der Materialität des Textträgers für die Interpretation und literarhistorische Positionierung. Anhand einer überlieferungsgeschichtlichen Untersuchung von Oswalds Pastourellen (Kl 76 und 83) schlug Klaus Kipf einen neuen Blick auf die Zusammenstellung von Liedtypen in den Haupthandschriften A und B vor. Mit dem für Oswald neu diskutierten Liedtyp der Pastourelle warf Kipf zudem die Frage nach einer planvollen Anlage der Haupthandschriften und/oder einer beiden vorausgehenden Sammlungen auf. Die Vorträge von Andrea Schindler (Bamberg) („Von A bis z. Die Lieder Kl 21 und Kl 76 Oswalds von Wolkenstein im Kontext ihrer Überlieferung“), Wolfgang Beutin (Köthel/Stormarn) („Jan Hus und die hussitische Reformation in Oswalds Lied Kl 27 sowie Muskatplüts Lied ‚Man zelt virtzen hundert jar’“) sowie von Danielle Buschinger (Amiens) über die „Politische[n] und moral-didaktische[n] Lieder Oswalds von Wolkenstein und ihre thematisch-motivlichen Bezüge zur Sangspruchtradition und zur didaktischen Dichtung“ stellten die Frage nach poetologischen Bezügen bzw. der Rezeption von Oswalds Werk in den Mittelpunkt. Andrea Schindler konzentrierte sich in ihren Ausführungen auf Kl 21 und Kl 76, die in den Drucken z, z1 und z2 des „Neithart Fuchs“ in die Zusammenstellung um die Figur ‚Neithart’ integriert sind, wenngleich ohne die Nennung Oswalds. Im Zentrum ihrer Überlegungen standen dabei die Parallelen und Abweichungen der Lieder sowie Fragen nach möglichen Entwicklungsschritten der Überlieferung. Wolfgang Beutin skizzierte die Rezeption und Beurteilung von Jan Hus in den Werken Oswalds von Wolkensteins, Hans Rosenplüts und späterer Autoren. Auf der Folie der anhaltenden Kontroversen um Hus waren neben konträren Rezeptionslinien innerhalb der deutschen Literatur auch diejenigen der tschechische Literatur von Interesse. Danielle Buschinger beschäftigte sich mit dem „ständischen Standpunkt“ der Dichter Frauenlob, Oswald von Wolkenstein und Hans Vintler im Vergleich zu jenen Elisabeths von Nassau-Saarbrücken. Umrahmt wurde die Tagung durch Konzerte von Marc Lewon, dem Ensemble Alta Musica (Berlin) und Dr. Eberhard Kummer (Wien). Durch die zahlreichen unterschiedlichen Zugriffe auf das Œuvre Oswalds von Wolkenstein in seinen verschiedenen Gattungen konnten gerade in Hinblick auf die Lieder als ‚Gesamtkunstwerk‘ aus Wort, Ton und Aufführung neue Perspektiven eröffnet werden.
Tagung der Universität Lausanne (Section d’allemand) in Zusammenarbeit mit der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft in Lausanne. Leitung: Prof. Dr. A. Schnyder, Prof. Dr. Alexander Schwarz u.a.; Ort: Lausanne, Schweiz.
Internationales Symposium veranstaltet von der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft in Verbindung mit der Universität Augsburg und dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, in Brixen, Cusanus Akademie, Südtirol. Tagungsakten / Proceedings in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft. Bd. 17. 2008/2009.