Oswalds Lebenszeugnisse und seine gesamteuropäische Bedeutung
Außer den beiden Liederbüchern ist zum Leben Oswalds von Wolkenstein eine außergewöhnlich große Anzahl an Lebenszeugnissen überliefert. Dabei sind die wichtigsten Archivalien aus Oswalds persönlichem Besitz im Wolkenstein-Archiv im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg aufbewahrt. Insgesamt sind jedoch mehr als 600 Urkunden, Dutzende von Siegeln und Bildnissen erhalten, welche einen einzigartigen Einblick in das abenteuerreiche und wechselvolle Leben des Ritters Oswald von Wolkenstein gewähren. Diese Hinterlassenschaft erlaubt es den Biographen, teilweise bis ins kleinste Detail nachzuzeichnen, wie Wolkenstein vom unbedeutenden Zweitgeborenen eines Tiroler Freiherrn bis zum hoch dekorierten Ritterhelden, Freischöffen in der exklusiven Gerichtsbarkeit der westfälischen Feme und zum Rat Kaiser Sigismunds, des höchsten abendländischen Souveräns seiner Zeit, aufgestiegen ist.
Die wichtigsten Abzeichen dieses gesellschaftlichen Erfolgs stellt das Porträt in der Innsbrucker Liederhandschrift in einer beeindruckenden künstlerischen Qualität zur Schau: Um den Hals trägt der Dargestellte den aragonesischen Kannenorden der höchsten Stufe in goldener Kette mit anhängendem Greif und weißer Schärpe. Diesen Orden hatte sich Oswald von Wolkenstein im Jahr 1415 dank seiner Beteiligung an der Wiedereroberung der nordafrikanischen Küstenstadt Ceuta für die christlichen Königreiche der Iberischen Halbinsel erworben. Daneben prangt der Drachenorden, ebenfalls höchster Stufe, den Kaiser Sigismund seinem Rat 1431 als Anerkennung für lange Jahre ritterlicher Dienste, vermutlich auch zur Ehrung seiner Sangeskunst, verliehen hatte.
Nach Aussagen in seinen Liedern galt der Tiroler Ritter zudem als geschätzter Sänger an verschiedenen Höfen innerhalb und außerhalb des Heiligen Römischen Reichs. Als seine Gönner erwähnt der Autor unter anderen die Erzbischöfe von Salzburg und Köln, die Herzöge von Tirol und von Berg am Niederrhein oder den Pfalzgrafen bei Rhein. Besonders stolz stellt er allerdings seine Ehrungen an den Königshöfen von Aragon und Paris dar, wo er jeweils aus der Hand der Königin mit Juwelen für seine Sangeskunst ausgezeichnet worden sei.
Oswald von Wolkenstein schält sich somit als eine Persönlichkeit von gesamteuropäischer Bedeutsamkeit heraus. Diese vielfältigen Bezüge in seinem Werk und in seinem Leben zu erhellen, bedarf es vermehrter interdisziplinärer Forschungen: Eine faszinierende Aufgabe, welche auf zunehmend breite Resonanz in der Mediävistik stößt, zumal die spätmittelalterliche Endzeit- und Umbruchs-Epoche gleichfalls in den Brennpunkt neuester mentalitätsgeschichtlicher Fragestellungen gerückt ist. Die genannten Gründe legen es nahe, die Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft als Forum zur interdisziplinären Erforschung der spätmittelalterlichen Kultur in Europa weiter auszubauen.
Parallel dazu beschäftigt sich die Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft mit der Erfassung und Deutung der neuzeitlichen Rezeption von Leben und Werk Oswalds von Wolkenstein. In dieser Hinsicht stellt der spätmittelalterliche Autor einen Glücksfall mediävistischer Rezeptionsforschung dar. Denn sowohl sein künstlerisches Werk als auch seine Lebensgeschichte sind seit seiner Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert zum Gegenstand höchst bemerkenswerter Neuschöpfungen in Bildender Kunst (u. a. Markus Vallazza, Simon Dittrich), Musik (Cesar Bresgen, Reinhard Felbel, Wilfried Hiller z. B.), in Film (Michael von Wolkenstein) und Literatur (Hubert Mumelter, Thomas Kling, Dieter Kühn u. a.) geworden. Unangefochtener Spitzenreiter der Rezeptionsgeschichte bleibt Dieter Kühns Biographie ‚Ich Wolkenstein’. Seit seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1977 zählt dieser historische Roman zu den auflagenstärksten Bestsellern der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Ein lohnender Anlass, die deutsche Sprach- und Literaturgeschichte in ihrer Gesamtheit ins öffentliche Bewusstsein zu heben.
Oswald von Wolkenstein – sein Leben im Überblick
Aus: Geschichte der deutschen Lyrik. Vom Mittelalter bis zum Barock. Reclam Klassiker auf CD-ROM. Stuttgart 1996, Kap. Oswald von Wolkenstein von Sieglinde Hartmann.
Um 1377 – Vermutlich auf Burg Schöneck im Pustertal als zweiter – und deswegen materiell benachteiligter – Sohn der Katharina von Villanders und des Friedrich von Wolkenstein geboren. Beide Familien gehörten zum niederen Adel, waren jedoch schon seit Jahrhunderten zu beträchtlichem Besitz und Ansehen in der Grafschaft Tirol gelangt.
Um 1387 – um 1400 – Oswald zieht als Knappe vermutlich in der Obhut eines Ritters des Deutschen Ordens durch Teile Europas; sodann als Ritter auf Kriegszügen in Preußen und Litauen; bereist weite Teile Europas, Nordafrikas und des Vorderen Orients.
Um 1400 – Oswalds Vater stirbt und Oswald kehrt nach Tirol zurück.
1401/1402 – Teilnahme am unglücklichen Italienfeldzug König Ruprechts von der Pfalz (Kaiser von 1400-1410).
1405 – Im Erbschaftsstreit mit seinem Bruder Michael wird Oswald von diesem mit dem Schwert lebensgefährlich verletzt, nachdem er zuvor seine Schwägerin beraubt hatte.
1409-1413 – Oswald ist in Diensten des Bischofs von Brixen tätig u.a. als Richter. Im nahen Chorherrenstift Neustift erwirbt er 1411 Wohnrecht und wird zum weltlichen Schutzherrn des Klosters ernannt. In den Brixener Jahren Minnedienst-Verhältnis mit der Schulmeistertochter Anna Hausmann aus Brixen.
1415 – Oswald tritt auf dem Konstanzer Konzil am 16. Februar in die Dienste König Siegmunds von Luxemburg (1368-1436, 2. Sohn Kaiser Karls IV., seit 1387 König von Ungarn, von 1410-1436 deutscher König und Kaiser). In dessen Auftrag 1415/16 Teilnahme an Gesandtschaftsreisen u.a. nach Portugal (Beteiligung an der Eroberung der maurischen Stadt Ceuta in Nordafrika), Aragon und Frankreich.
1417 – Heirat mit Margarete von Schwangau (Oberschwaben). Margarete stammte aus dem hoch angesehenen schwäbischen Geschlecht der reichsunmittelbaren Herren von Schwangau, das u.a. berühmt für ihren Vorfahren, den Minnesänger Hiltbold von Schwangau, war. In eigens für seine Ehefrau komponierten Liedern verherrlicht Oswald ihren Adel, ihre Schönheit und ihre reine Sopranstimme. Für sie verfasste er die schönsten seiner Liebesduette.
1420 (wahrscheinlich) – Herbst: Teilnahme am Hussitenfeldzug. Kurzfristig auf Burg Wyschehrad bei Prag mit anderen Tiroler Rittern eingeschlossen.
1421 – Herbst: Oswald wird von seinen Gegnern – u.a im Erbschaftsstreit um Burg Hauenstein (bei Seis) – auf Schloss Forst bei Meran eingesperrt und gefoltert. Herzog Friedrich IV. von Österreich, Landesherr von Tirol, übernimmt den Gefangenen, der als Mitglied des Südtiroler Adelsbunds schon lang gegen den Herzog opponiert hatte, am 17. Dezember in landesherrliche Haft und lässt ihn erst drei Monate später gegen eine hohe Kaution frei.
1425 – Anlage der ersten Liederhandschrift (= Hs. A) auf Pergament, heute: Österr. Nationalbibliothek Wien, Cod. Vind. 2777.
1427 – 1. März: Nach Querelen, Flucht und erneuter Haft wird Oswald von Herzog Friedrich freigelassen und kann die Hauensteinschen Güter erwerben. Als letztes Mitglied des Tiroler Adelsbunds unterwirft er sich dem österreichischen Landesfürsten Friedrich.
1428 – Aufnahme als Freischöffe in der westfälischen Feme, Abschrift der ‚Ruprechtschen Fragen’ (= älteste und vollständigste Fassung des Femerechts, heute: Wolkenstein-Archiv im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg).
1431-1434 – Oswald nimmt an den Reichstagen in Nürnberg bzw. in Ulm teil und begleitet König Siegmund zu seiner Krönung nach Rom. Während seines Italienaufenthalts im Gefolge des Kaisers lässt er vermutlich sein heute weit berühmtes Porträt malen, das er in die zweite Prachthandschrift mit seinen Liedern einbinden lässt.
1432 – Fertigstellung dieser zweiten Liederhandschrift in Pergament mit lebensechtem Porträt aus der Pisanello-Schule (= Hs. B), die heute in der Universitätsbibliothek Innsbruck (ohne Signatur) aufbewahrt wird. Die Hs. B bildet die Grundlage der wissenschaftlichen Standardausgabe seiner Lieder von Karl Kurt Klein.
1445 – Am 2. August stirbt Oswald in Meran (Alto Adige); er wird nach Neustift bei Brixen (Bressanone) überführt und in der Klosterkirche beigesetzt.
Nach 1445 – Anfertigung einer Abschrift aller Liedtexte (ohne Melodien) vorwiegend nach Hs. B auf Papier für den familiären Gebrauch = Hs. c, heute: Bibliothek des Museums Ferdinandeum, Innsbruck; Signatur: F.B. 1950.
Es fügt sich – autobiographisches Lied – Lebensrückblick mit 40 Jahren (Edition Karl Kurt Klein Nr. 18)
Dieses Lied zählt zu den faszinierendsten Beispielen der neuartig autobiographischen Lyrik, wie Oswald von Wolkenstein sie geschaffen hat. In sieben langen und höchst kunstvoll gebauten Strophen schildert Oswald darin seine Ritterschaftsreisen sowie andere prägende Momente seines Lebens. Die äußere Chronologie dient dabei lediglich als Zeitrahmen. Denn die dazwischen liegenden Strophen füllt ein virtuos inszeniertes Stück Selbstdarstellung, worin die Chronologie immer wieder außer Kraft gesetzt wird. Stattdessen übernehmen überraschende Perspektivenwechsel und verblüffende Rollenspiele die poetische Regie. Ironische Untertöne oder melodramatische Übertreibungen treiben die emotionale Wirkungskraft dieser Verse stets auf neue Siedepunkte, besonders dann, wenn die Momente der Selbstverspottung zusätzlich von geistlichen Posen der Bußfahrt, christlicher Pilgerschaft oder mönchischer Andacht überlagert sind. So werden die traditionell wirkenden Auftritte als ritterlicher Kämpfer oder höfischer Minnediener ständig konterkariert. Daher nimmt es kaum noch Wunder, wenn der Dichter die Bilanz seiner vierzig Lebensjahre in der siebten Strophe in kaum entwirrbare Widersprüche münden lässt.
Dieses Fazit gilt auch dann, wenn man die unterschiedlichen symbolischen Sinnschichten im Einzelnen analysieren und die komplexen Vernetzungen der Symbolsprache des Liedes offen legen würde. Unumstritten bleibt indes, dass sich in diesen Versen ein Autor-Ich von einem neuartig individuellen Selbstverständnis manifestiert. Ähnlich neu wirkt Wolkensteins Weltverständnis in diesem Lied. Denn die Weltfülle, die Oswald in Bildern von treffsicherem Lokalkolorit und plastischer Anschaulichkeit vor den Augen seiner Zuhörer entfaltet, hat nichts mehr gemein mit den Gedankenkonstrukten einer allegorischen Frau Welt, so wie sie die Szene der deutschen Liedkunst bis zum Ende des 14. Jahrhunderts beherrschen sollten. Nicht zuletzt deshalb zählt das Lied „Es fügt sich“ zu den herausragenden Zeugnissen autobiographischer Dichtung des gesamten Mittelalters.
Text nach der wissenschaftlichen Standardausgabe von:
Karl Kurt Klein, Die Lieder Oswalds von Wolkenstein. 3., neubearbeitete Auflage. Tübingen: M. Niemeyer Verlag 1987 [= Altdeutsche Textbibliothek Nr. 55], S. 48-53.
Übersetzung aus
Sieglinde Hartmann: Oswald von Wolkenstein Es fügt sich, in: Gedichte und Interpretationen. Mittelalter. Hrsg. von Helmut Tervooren, Stuttgart 1993 [= Reclam 8864], S. 299-318.
I
Es fügt sich, do ich was von zehen jaren alt,
ich wolt besehen, wie die werlt wer gestalt.
mit ellend, armüt mangen winkel, haiss und kalt,
hab ich gebawt bei cristen, Kriechen, haiden.
Drei pfenning in dem peutel und ain stücklin brot,
das was von haim mein zerung, do ich loff in not.
von fremden freunden so hab ich manchen tropfen rot
gelassen seider, das ich wand verschaiden.
Ich loff ze füss mit swerer büss, bis das mir starb
mein vatter, zwar wol vierzen jar nie ross erwarb,
wann aines roupt, stal ich halbs zu mal mit valber varb,
und des geleich schied ich da von mit laide.
Zwar renner, koch so was ich doch und marstaller,
auch an dem rüder zoch ich zu mir, das was swer,
in Kandia und anderswo, ouch widerhar,
vil mancher kittel was mein bestes klaide.
Als ich zehn Jahre alt war, fügte es sich, / (dass) ich sehen wollte, wie die Welt beschaffen wär. / In Fremde und Elend, in mancherlei Winkeln heiß und kalt / habe ich gelebt bei Christen, Orthodoxen, Heiden. / [5] Drei Pfennig in dem Beutel und ein Stücklein Brot, / das war meine Wegzehrung von daheim, als ich loszog in (Kampf und) Not. / Durch falsche Freunde hab ich viele Tropfen Bluts / seitdem vergossen, dass ich (schon) glaubte, ich müsste sterben. / Ich lief zu Fuß in schwerer Buße, bis mir der Vater / [10] starb, wahrlich, rund vierzehn Jahre lang hatt ich kein Ross errungen / außer einem, das ich geraubt, gestohlen, ein Maultier, dazu von falber Farbe, / und ebenso nahm ich Abschied davon – mit Schmerzen. / Wahrlich: Laufbursche, Koch, das war ich noch und Pferdeknecht, / auch Ruder zog ich, das tat weh, / [15] bei Kreta und anderswo, auch wieder zurück. /Vielerlei Kittel waren meine besten Kleider.
II
Gen Preussen, Littwan, Tartarei, Türkei, uber mer,
gen Frankreich, Lampart, Ispanien, mit zwaien kunges her
traib mich die minn auf meines aigen geldes wer;
Ruprecht, Sigmund, baid mit des adlers streiffen.
franzoisch, mörisch, katlonisch und kastilian,
teutsch, latein, windisch, lampertisch, reuschisch und roman,
die zehen sprach hab ich gebraucht, wenn mir zerran;
auch kund ich fidlen, trummen, paugken, pfeiffen.
Ich hab umbfarn insel und arm, manig land,
auff scheffen gros, der ich genos von sturmes band,
des hoch und nider meres gelider vast berant;
die swarzen see lert mich ain vas begreiffen,
Do mir zerbrach mit ungemach mein wargatein,
ain koufman was ich, doch genas ich und kom hin,
ich und ain Reuss; in dem gestreuss houbgüt, gewin,
das sücht den grund und swam ich zu dem reiffen.
Nach Preußen, Litauen, in die Tatarei, Türkei, übers Meer, / nach Frankreich, Italien, Spanien, im Heer zweier Könige, / trieb mich die Minne, doch zahlte ich mit meinem eignen Geld: / [20] Ruprecht, Siegmund, beide mit dem Adlerwappen. / Französisch, arabisch, katalanisch und spanisch, / deutsch, lateinisch, slowenisch, italienisch, russisch und griechisch, / die zehn Sprachen habe ich benutzt, wenn Not mich zwang. / Auch konnte ich fiedeln, trompeten, pauken, Flöte spielen. / [25] Ich hab umfahrn Inseln und Buchten, viele Länder, / auf großen Schiffen, die mich retteten vor des Sturmes Fesseln; / habe die niedrigen und hohen Gewässer des (Mittel)Meeres gewaltig attackiert. / Das Schwarze Meer lehrte mich ein Fass umarmen, / als die Kogge zum Ärger mir zerbarst. / [30] Ein Kaufmann war ich, blieb dennoch heil und kam davon, / ich und ein Russe; in diesem Seegefecht sank mein Kapital, Gewinn / auf den Grund, ich aber schwamm ans Ufer.
III
Ain künigin von Arragon, was schon und zart,
da für ich kniet, zu willen raicht ich ir den bart,
mit hendlein weiss bant si darein ain ringlin zart
lieplich und sprach: »non maiplus dis ligaides.«
Von iren handen ward ich in die oren mein
gestochen durch mit ainem messin nädelein,
nach ir gewonheit sloss si mir zwen ring dorein,
die trüg ich lang, und nennt man si raicades.
Ich sücht ze stund künig Sigmund, wo ich in vand,
den mund er spreutzt und macht ain kreutz, do er mich kant,
der rüfft mir schier: »du zaigest mir hie disen tant, «
freuntlich mich fragt: »tün dir die ring nicht laides?«
Weib und ouch man mich schauten an mit lachen so;
neun personier kungklicher zier, die waren da
ze Pärpian, ir babst von Lun, genant Petro,
der Römisch künig der zehent und die von Praides.
Eine Königin von Aragon war schön und lieblich, / vor ihr kniete ich nieder, ergeben reichte ich ihr den Bart. / [35] Mit weißen Händlein band sie darein ein feines Ringlein / liebenswürdig und sagte: »Non maiplus dis ligaides.« / Mit ihren Händen hat sie meine Ohren / durchstochen mit einem Messingnädelein, / nach ihrer Landessitte schloss sie mir zwei Ringe darein. / [40] Die trug ich lange, auch nennt man sie ‘raicades’. / Ich suchte sofort König Siegmund, wo ich ihn fand. / Der riss den Mund auf und schlug ein Kreuz, als er mich erkannte, / gleich rief er mir zu: »Du zeigst mir hier diesen Tand?!« / Vertraulich fragte er mich: »Tun dir die Ringe nicht weh?« / [45] Frauen und auch Männer schauten mich an und lachten dann. / Neun Personen von königlichem Rang, die waren dort / zu Perpignan, ihr Papst von Luna, namens Pedro, / der römische König, der zehnte, und die [Margarete] von Prades.
IV
Mein tummes leben wolt ich verkeren, das ist war,
und ward ain halber beghart wol zwai ganze jar;
mit andacht was der anfangk sicherlichen zwar,
hett mir die minn das ende nicht erstöret.
Die weil ich rait und süchet ritterliche spil
und dient zu willen ainer frauen, des ich hil,
die wolt mein nie genaden ainer nussen vil,
bis das ain kutten meinen leib bedoret.
Vil manig ding mir do gar ring zu handen ging,
do mich die kappen mit dem lappen umbefing.
zwar vor und seit mir nie kain meit so wol verhing,
die mein wort freuntlich gen ir gehöret.
Mit kurzer schnür die andacht für zum gibel aus,
do ich die kutt von mir do schutt in nebel rauss,
seid hat mein leib mit leid vortreib vil mangen strauss
gelitten, und ist halb mein freud erfröret.
Mein törichtes Leben wollte ich ändern, das ist wahr, / [50] so wurde ich ein halber Begharde zwei volle Jahre (lang). / Voll Reue war der Anfang – gewisslich wahr! -, / hätte mir die Minne nicht das Ende zerstört. / Während ich (umher) geritten war und Ritterspiele gesucht / und ergeben einer Dame gedient hatte, wovon ich schweige, / [55] wollte diese mir nicht mal ein Quentchen Gunst gewähren, / eh eine Kutte mich nicht zum Narren machte. / So manche Sachen glückten mir da ganz leicht, / als der Kapuzenhabit mit dem Beffchen mich umfing. / Wahrlich: zuvor und seitdem hat keine mir so viel gewährt, / [60] die meine Worte voll Vertrauen hat angehört. / An kurzer Schnur war meine Reue zum Giebel rausgefahren, / als ich die Kutte da von mir in (Nacht und) Nebel rausschleuderte. / Seitdem hab ich beim Liebesglück lauter Rückschläge / erlitten, und so ist meine Glut leicht abgekühlt.
V
Es wër zu lang, solt ich erzellen all mein not,
ja zwinget mich erst ain ausserweltes mündli rot,
da von mein herz ist wunt bis in den bittern tod;
vor ir mein leib hat mangen swaiss berunnen.
Dick rot und blaich hat sich verkert mein angesicht,
wann ich der zarten dieren hab gewunnen phlicht,
vor zittern, seufzen hab ich offt emphunden nicht
des leibes mein, als ob ich wër verbrunnen.
Mit grossem schrick so bin ich dick zwaihundert meil
von ir gerösst und nie getrösst zu keiner weil;
kelt, regen, snee tet nie so we mit frostes eil,
ich brunne, wenn mich hitzt die liebe sunne.
Won ich ir bei, so ist unfrei mein mitt und mass.
von ainer frauen so müss ich pawen ellend strass
in wilden rat, bis das genadt lat iren hass,
und hulf mir die, mein trauren käm zu wunne.
Es wär zu lang, würde ich (alles) aufzählen, was ich erlitten hab. / [66] Ja, auch jetzt noch bezwingt mich ein auserwähltes Mündlein rot, / wovon mein Herz verwundet ist bis auf den bittren Tod. / Bei ihr befiel mich so mancher Schweißausbruch. / Oft hat sich mein Angesicht mal rot, mal bleich verfärbt, / [70] wenn ich der Gegenwart des holden Mädchens teilhaftig ward. / Vor Zittern, Seufzen hab häufig ich nicht (mehr) gespürt / den eignen Leib, als wäre ich ausgebrannt. / Mit starkem Herzklopfen, so bin ich oft zweihundert Meilen / von ihr fortgerannt und fand (doch) nicht den geringsten Trost. / [75] Kälte, Regen, Schnee (gepaart) mit Frostes Kraft tat mir nie so weh, dass ich (nicht trotzdem) brennen würde, wenn mich erhitzt die liebe Sonne. / Bin ich bei ihr, so ist unfrei meine Mitte (?) und mein Maß (?). / Wegen einer Dame muss ich in Elend, Fremde und / in die Irre ziehn, bis Gunst beendet ihren Hass. / [80] Wenn die mir hülfe, würde mein Leid zu Glück!
VI
Vierhundert weib und mer an aller manne zal
vand ich ze Nio, die wonten in der insell smal;
kain schöner pild besach nie mensch in ainem sal,
noch mocht ir kaine disem weib geharmen.
Von der ich trag auff mein rugk ain swëre hurd,
ach got, wesst si doch halbe meines laides burd,
mir wër vil dester ringer offt, wie we mir wurd,
und het geding, wie es ir müsst erbarmen.
Wenn ich in ellend dick mein hend offt winden müss,
mit grossem leiden tün ich meiden iren grüss,
spat und ouch frü mit kainer rü so slaff ich süss,
das klag ich iren zarten weissen armen.
Ir knaben, maid, bedenckt das laid, die minne phlegen,
wie wol mir wart, do mir die zart bot iren segen.
zwar auff mein er, wesst ich nicht mer ir wider gegen,
des müsst mein oug in zähern dick erbarmen.
Vierhundert Frauen und mehr, ohne jeden Mann, / fand ich auf Nios, dieser kleinen Insel, wohnen: / kein Mensch hat je ein schönres Bild in einem Saal gesehen, / doch keine davon konnte (der Schönheit) meiner Frau einen Tort antun. / [85] Die hat mir eine schwere Bürde aufgehalst. / Ach Gott, wäre ihr nur halbwegs meine Last bewusst, / sie wäre mir soviel leichter oft, trotz allem Schmerz, / und schöpfte Hoffnung, dass sie es (doch) erbarmen würde! / Wenn ich in der Fremde so oft die Hände ringen muss, / [90] wenn ich unter großen Leiden entbehren muss ihren Gruß, / wenn früh und spät ich nie die süße Ruhe des Schlafes finde, / (dann) klag ich dafür ihre schönen weißen Arme an. / Ihr Knaben, Mädchen, bedenkt, welch Leid die Liebenden ertragen! / Wie wohl mir war, als mir die Schöne ihren Segen gab! / [95] Ja, bei meiner Ehre: könnt ich sie nicht mehr wiedertreffen, / das würde mein Auge oft zu Tränen rühren.
VII
Ich han gelebt wol vierzig jar leicht minner zwai
mit toben, wüten, tichten, singen mangerlai;
es wer wol zeit, das ich meins aigen kindes geschrai
elichen hort in ainer wiegen gellen.
So kan ich der vergessen nimmer ewiklich,
die mir hat geben mut uff disem ertereich;
in aller werlt kund ich nicht finden iren gleich,
auch fürcht ich ser elicher weibe bellen.
In urtail, rat vil weiser hat geschätzet mich,
dem ich gevallen han mit schallen liederlich.
ich, Wolkenstein, leb sicher klain vernünftiklich,
das ich der werlt also lang beginn zu hellen,
Und wol bekenn, ich wais nicht, wenn ich sterben sol,
das mir nicht scheiner volgt wann meiner berche zol.
het ich dann got zu seim gebott gedienet wol,
so forcht ich klain dort haisser flamme wellen.
Ich hab gelebt rund vierzig Jahre – knapp weniger zwei – / (in Kämpfen) tobend, wütend, mit Dichten, Singen mancherlei. / Es wäre nun Zeit, dass ich das Geschrei meines eigenen Kindes, / [100] (eines) ehelichen, in einer Wiege gellen hörte. / Doch nie und nimmer kann ich die vergessen, / die mir Mut und Freude auf diesem Erdenrund gegeben hat. / In aller Welt konnte ich keine finden, die ihr gleichkommt. / Auch fürcht ich sehr der Ehefrauen Gekeife. / [105] Im Gericht, Rat hat mancher Weise mich geschätzt, / dem ich gefallen habe mit Liedern und Gesang. / Ich Wolkenstein lebe wahrlich bar aller Vernunft, / dass ich dieser Welten (Lied) so lange schon mitsinge. / Und klar erkenne: ich weiß nicht, wann ich sterben muss, / [110] (auch) dass mir nichts Sichtbareres folgt als meiner Werke Lohn. / Hätte ich dann Gott nach seinem Gebot recht gedient, / so würde ich kaum dort (in der Hölle) das Lodern heißer Flammen fürchten!
Eine musikalische Einspielung bietet folgende CD, die über die Gesellschaft zu beziehen ist:
Es fuegt sich. Lieder des Oswald von Wolkenstein. Gesungen von E. Kummer. CD mit Beiheft.
Preis: EURO 10,- für Mitglieder, EURO 15,- für Nichtmitglieder.
Zweisprachige Gesamtausgaben:
Klaus J. Schönmetzler: Oswald von Wolkenstein. Die Lieder mhd.-deutsch. München 1979 [mit Melodien], Oswald von Wolkenstein. Sämtliche Lieder und Gedichte. Ins Neuhochdeutsche übers. von Wernfried Hofmeister. Göppingen 1989 [Ohne Melodien, mit Sekundärliteratur zu einzelnen Liedern].
Biographien / Monographien:
Anton Schwob, Oswald von Wolkenstein. Eine Biographie, Bozen 1977, zahlreiche weitere Auflagen,
Dieter Kühn: Ich Wolkenstein. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1977 und öfter, Karen Baasch / H. Nürnberger: Oswald von Wolkenstein. Baltica Verlag, Flensburg 1995 [= rororo Bildmonographien 360].
Kommentar:
Werner Marold: Kommentar zu den Liedern Oswalds von Wolkenstein. Hrsg. von Alan Robertshaw. Innsbruck 1995
Edition der Lebenszeugnisse:
Anton Schwob u.a. (Hrsg.): Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein, Edition und Kommentar, 5 Bände. Wien, Köln 1999 ff.
Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein. Edition und Kommentar. Bd. 3: 1428 – 1437, Nr. 178 – 275. Hg. von Anton Schwob unter Mitarbeit von Karin Kranich-Hofbauer und Brigitte Spreitzer, kommentiert von Ute Monika Schwob. Böhlau Verlag: Wien, Köln, Weimar.
In dieser Buchreihe von fünf Bänden wird das Leben einer nichtfürstlichen Persönlichkeit des Spätmittelalters anhand schriftlich überlieferter Lebenszeugnisse dokumentiert. Das hier vorgelegte Quellenmaterial lag bisher nur zum kleineren Teil und in veralteter Form gedruckt vor. Es mußte in rund 40 in- und ausländischen Archiven gesucht, gefunden, transkribiert und beschrieben werden. Die historisch-diplomatische Edition der einzelnen Stücke wird von jeweils ausführlichen Kommentaren begleitet. Oswald von Wolkenstein (ca.1376 – 1445), einer der bedeutendsten Vertreter deutscher Lyrik, erweist sich dabei als ein klassischer Vertreter des niederen Adels seiner Zeit und ist als Rechtssachverständiger, Krieger, Diplomat sowie Fürstendiener ebenso aktiv wie als Künstler. Seine Lebenszeugnisse bieten wichtige Erkenntnisse zur spätmittelalterlichen Sozial-, Wirtschafts- und Rechtsgeschichte sowie zur frühneuhochdeutschen Sprachperiode im österreichisch-bayerischen Raum.
Hatte der erste Band mit dem Zeitraum von 1382 bis 1419 einen jüngeren Sohn aus Tiroler Adelsfamilie vorgestellt, der sich in ganz Europa um seine Karriere bemühte, so konzentrierte sich der zweite Band auf die relativ kurze Zeitspanne von 1420 bis 1428, die von Fehden, Gefangenschaften und Konfliktlösungen im Land Tirol geprägt war. Der dritte Band umfaßt die Jahre 1428 – 1437, die den Wolkensteiner als etablierten Landadeligen, als umtriebigen Prozessierer und als von auswärtigen Fürsten wie auch von König Sigmund von Luxemburg anerkannten Berater präsentieren.
Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein. Edition und Kommentar. [The documents of Oswald von Wolkenstein’s life. Edition and commentary.] Vol. 3: 1428 – 1437, Nr. 178 – 275. Edited by Anton Schwob in collaboration with Karin Kranich-Hofbauer and Brigitte Spreitzer, commented by Ute Monika Schwob. Published by Böhlau: Vienna, Cologne, Weimar.
In this series consisting of five volumes the life of a personality of non-princely social status is documented through written evidence. The source material that is presented here has been published before only in part and in antiquated form; for the present edition, it was collected, transcribed and described in the course of visiting more than 40 archives in at home and abroad. The historic-diplomatic edition of each of the individual items is accompanied by a detailed commentary.
Oswald von Wolkenstein (c. 1376-1445), one of the most outstanding representatives of German poetry, proves to be a typical member of the lower nobility and princely servant [?] as well as a [versed] artist. The documents for his life provide important knowledge for social, economical and legal history as well as for the linguistic epoch of early modern German in the Austrian-Bavarian region.
While the first volume concerning the years 1382 to 1419 showed a younger son of a Tyrolean aristocratic family being anxious for a career for himself in all of Europe, the second volume concentrates on the relatively short space of time from 1420 to 1428 which was formed by feuds, imprisonment, and the solution of conflicts in [the Province/State] Tyrol. The third volume contains the years 1428 to 1437, when the ‘Wolkensteiner’ presents himself as an established member of landed gentry, active litigant, and adviser of foreign princes as well as of King Sigmund of Luxemburg.